© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/15 / 05. Juni 2015

Die Union kämpft um die letzte Großstadt
Oberbürgermeisterwahl: Im selbstbewußten Dresden ringen zwei Minister der Landesregierung unter Stanislaw Tillich um die Macht
Paul Leonhard

In Dresden strampelt sich derzeit ein kleiner Mann ab. Mit dem Fahrrad ist er unterwegs, um die entlegensten Teile der sächsischen Landeshauptstadt kennenzulernen und auf sich aufmerksam zu machen. Dafür wurde er von seinem Dienstherrn und Parteifreund, dem Ministerpräsidenten und CDU-Landeschef Stanislaw Tillich, vom Amt beurlaubt: Markus Ulbig, Innenminister Sachsens und vormals Oberbürgermeister von Pirna, soll künftig die Geschicke Dresdens lenken. Er ist der Kandidat der Christdemokraten für die Oberbürgermeisterwahl am Sonntag. Allein die Erfolgsaussichten Ulbigs sind gering. Und das nicht nur, weil mit dem amtierenden Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP), AfD-Stadtratsfraktionschef Stefan Vogel und Pegida-Kandidatin Tatjana Festerling drei weitere Bewerber aus dem eher bürgerlichen Lager antreten und sich die Linken parteiübergreifend auf Sozialministerin Eva-Maria Stange (SPD) als Kandidatin geeinigt haben.

Mit Ulbig hat die CDU eine Persönlichkeit ausgewählt, vor der selbst die eigene Klientel zurückschreckt. Als Oberbürgermeister von Pirna ist der 51jährige vor allem durch die Unterstützung von Linksextremisten in ihrem „Kampf gegen Rechts“ aufgefallen, als Innenminister durch seine unglückliche Polizeireform und sein hilfloses Agieren im Umgang mit den Flüchtlingsströmen. Noch gravierender dürfte sich auswirken, daß Ulbig der Bild sagte, selbst im Fall seiner Wahl im beschaulichen Pirna wohnen zu bleiben. Schwerer kann man das selbstverliebte Dresdner Bürgertum nicht brüskieren. Zwar ist es gesetzlich zulässig, als Oberbürgermeister nicht in der Stadt zu leben, deren Oberhaupt man ist. Aber in Dresden wird so etwas nicht verziehen. Deutlicher konnte Ulbig nicht signalisieren, daß er eigentlich gar nicht OB werden will.

Das Problem der CDU ist: Sie hat auch in Sachsen keine politischen Kämpfertypen mehr aufzubieten. So dürfte die Union ausgerechnet mit dem zutiefst konservativen Dresden die letzte Großstadt verlieren, in der sie den Oberbürgermeister stellt. Nach 25 Jahren an der Macht ist die Sachsen-Union so weichgespült, daß schon ein Schwiegermuttertyp wie Tillich trotz seiner DDR-Karriere vergleichsweise charismatisch wirkt. Bereits die Anfang des Jahres aus gesundheitlichen Gründen als OB zurückgetretene Helma Orosz, vormals Sozialministerin und Oberbürgermeisterin des westsächsischen Weißwasser, war als Dresdner Stadtchefin eine Katastrophe. Die Christdemokratin brachte es innerhalb kürzester Zeit fertig, daß sich die bis dahin heillos zerstrittenen Stadtratsfraktionen gegen sie vereinten. Ihre permanenten Versuche, Dresden quasi mit „Ministererlassen“ und unter Ignorieren der demokratischen Rechte des Stadtrates zu regieren, scheiterten mehrfach erst vor Gericht. Im Ergebnis blieb die CDU bei den jüngsten Kommunalwahlen im Stadtrat zwar die stärkste Fraktion, verlor aber ihre Mehrheit.

Aussichtsreichste Kandidatin für das Oberbürgermeisteramt ist damit die 58 Jahre alte Eva-Maria Stange, die von einem überparteilichen Bündnis unterstützt wird. Auf die für den Wahlkampf beurlaubte sächsische Sozialministerin dürfte es am Ende hinauslaufen. Stange, einst lange Mitglied der SED und später Gewerkschaftsfunktionärin, verfügt zumindest über die nötige Verwaltungserfahrung, um eine Stadt wie Dresden zu führen. 

Der Pegida-Bewegung, die am Montag zum vorerst letztenmal durch die sächsische Metropole zog, hat Stange bereits den Kampf angesagt. Bei den Demonstrationen werde mittlerweile offen Rassismus gezeigt, kritisierte die SPD-Politikerin.