© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/15 / 05. Juni 2015

Den Bogen überspannt
Nach der Wiederwahl von Sepp Blatter: Eine Erneuerung der Fifa scheint nur über den Geldhahn möglich
Christian Schreiber

Sepp Blatter wirkt manchmal unfreiwillig komisch. Noch vor seiner Wiederwahl am vergangenen Freitag reagierte er mit seinem ihm eigenen Humor auf den jüngsten Korruptionsskandal des Weltfußballverbands Fifa: „Der Präsident tanzt nicht gerade vor Freude in seinem Büro“, ließ er über seinen Mediendirektor ausrichten. Nur wenige Stunden zuvor war bekanntgeworden, daß die Schweizer Behörden sieben hochrangige Fußball-funktionäre, zum größten Teil enge Vertraute Blatters, festgenommen hatten.

Nach Ermittlungen aus den USA waren am Mittwoch vergangener Woche unter anderem die Fifa-Vizepräsidenten Jeffrey Webb (Kaimaninseln) und Eugenio Figueredo (Uruguay) in Zürich verhaftet worden. Insgesamt stehen 14 Personen unter Korruptionsverdacht. Die US-Justiz hatte auch gegen den früheren Chef der Süd-amerikanischen Fußball-Konföderation in Paraguay, Nicolás Leoz, einen internationalen Haftbefehl erwirkt. Jack Warner, eine weitere Schlüsselfigur, hatte sich  in Trinidad und Tobago der Polizei gestellt und wurde nach Zahlung einer Kaution von 2,5 Millionen Dollar auf freien Fuß gesetzt. 

Im Zentrum der Ermittlungen steht die Vergabe der Fußballweltmeisterschaften 2018 in Rußland und 2022 in Katar. Besonders an der Entscheidung für den Wüstenstaat haben sich die Gemüter erhitzt. Nachdem Mediziner Bedenken ob gesundheitlicher Risiken aufgrund der hohen Sommertemperaturen angemeldet hatten, wurde die WM in den Winter verlegt. Nicht nur deshalb gibt es seit langem Gerüchte, finanzkräftige Kreise hätten sich die WM quasi erkauft. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wagte sich kürzlich sehr weit vor, als sie den Weltfußball-Verband als „durch und durch korrupte Veranstaltung“ bezeichnet hatte. Die Süddeutsche Zeitung setzte sogar noch einen drauf: „Seit 1998 ist Sepp Blatter Fifa-Präsident, davor war er 17 Jahre lang Generalsekretär. Die Vorfälle in Zürich belegen, daß in seiner Ära kriminelle Machenschaften gut gedeihen. Doch der Weltverband tut, als habe er mit alledem nichts zu tun – er geht beim Kongreß einfach zur Tagesordnung über.“ 

Den Ruf, Entscheidungen unter Einsatz von Geldern zu beeinflussen, hat sich der internationale Fußball in den vergangenen Jahrzehnten hart erarbeitet. Schon Blatters Vorgänger, dem Brasilianer João Havelange, wurden Schmiergeldzahlungen und krumme Geschäfte unterstellt. Dessen Schwiegersohn kassierte 1997 Millionen als Schmiergeld für WM-Marketing-Verträge mit dem später insolventen Vermarkter ISL. Blatter hatte Havelange persönlich 1,5 Millionen Dollar zurücküberwiesen, verurteilt wurde der Schweizer dennoch nicht.

Als er ein Jahr später die Wahl zum Havelange-Nachfolger gegen Lennart Johansson, den Präsidenten des Europäischen Fußballverbands Uefa, gewann, sollen ebenfalls Gelder geflossen sein. Bis heute stehen Vorwürfe über angebliche Zahlungen von je 50.000 Dollar an afrikanische Delegierte in einem Pariser Hotel im Raum. Juristisch konnte man Blatter nie etwas nachweisen. Dennoch lehnen sich die US-Behörden nun weit aus dem Fenster. Die Justizministerin spricht von ungezügelter und systemischer Korruption, es sei eine „kriminelle Bande“ am Werk. Seit 1991 habe sie die Fifa korrumpiert, mehr als 150 Millionen Dollar Schmiergelder seien geflossen, ein Ende der Enthüllungen sei nicht abzusehen.

Beim Geschäft mit dem runden Ball geht es um viel Geld: Die in der Schweiz ansässige Fifa ist der Rechtsform nach ein eingetragener Verein und muß als solcher keine Steuern zahlen. Die letzte Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien soll der Dachorganisation von 204 Nationalverbänden einen Nettogewinn von 1,6 Milliarden Euro in die Kassen gespült haben.

Neben dem Kongreß ist das nun ins Gerede gekommene Exekutiv-Komitee das wichtigste Organ des Verbandes. Die sogenannte Weltregierung des Fußballs entscheidet zum Beispiel über die Ausrichter aller Weltmeisterschaften. 24 Männer gehören dem Gremium an, darunter jetzt auch der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes. DFB-Boß Wolfgang Niersbach geht schon länger auf Konfrontation zu Blatter, was auch damit zusammenhängen dürfte, daß Uefa-Präsident Michel Platini als erbitterter Gegner des Schweizers gilt. „Es wäre erschütternd, wenn sich die im Raum stehenden schweren Vorwürfe gegen Mitglieder der Fifa als richtig herausstellen“, sagte Niersbach, der als Vertrauter des Franzosen gilt.

Es scheint, als habe Sepp Blatter den Bogen nunmehr überspannt. Drei Millionen Dollar erhält der 79jährige pro Jahr als Aufwandsentschädigung. Er selbst nennt es Schmerzensgeld. Dabei wird er auf Auslandsreisen behandelt wie ein Staatsgast. Und die Politik mischt beim Geschäft um das große Geld kräftig mit. So schreiben die Fifa-Statuten vor, daß Mitgliedverbände sanktioniert werden, sollte sich die nationale Politik in innere Angelegenheiten einmischen. Blatter bezeichnet diese Regel gern „als Schutz des Sports vor der Politik“. Kritiker sehen darin aber vor allem ein Hindernis für Justizbehörden.

Auch in Deutschland geht man in Sachen Weltfußball recht behutsam mit rechtlichen Schritten um. Die WM 2006 im Land ging als Sommermärchen in die Geschichte ein, es entstanden neue Fußball-Arenen, die Bundesliga wurde zu einem internationalen Premiumprodukt. Daß sich auch um die WM-Vergabe nach Deutschland zahlreiche Gerüchte rankten, wird dabei in der Heimat gern ausgeblendet. Ausgerechnet Organisationschef Franz Beckenbauer und sein Adlatus Fedor Radmann sollen dem Neuseeländer Charles Dempsey Stunden vor der Abstimmung 250.000 Dollar überreicht haben. Dempsey, der die Empfehlung seines Verbandes in der Tasche hatte, für den damaligen Konkurrenten Südafrika zu stimmen, enthielt sich schließlich und machte damit den Weg frei für das Turnier in der Bundesrepublik. Beweisen ließ sich dies alles freilich nie. Dempsey ist mittlerweile verstorben, und Beckenbauer, der deutsche „Fußball-Kaiser“, genießt nach wie vor einen exzellenten Ruf. Die Skandale bei der Fifa machen Beckenbauer nicht nervös: „Da ist die ganze Welt vertreten. Das ist Demokratie“, stellte er in Zürich lapidar fest.

Immerhin scheint nun der öffentliche Druck zu wachsen. Mehrere Sponsoren haben angekündigt, ihr Engagement zu beenden, sollten sich die Vorwürfe als wahr herausstellen. Eine Erneuerung der Fifa scheint nur über den Geldhahn möglich. Doch noch sprudeln die Quellen. Wohl auch deshalb wurde Blatter am vergangenen Freitag wiedergewählt.