© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/15 / 05. Juni 2015

Entscheidend ist die schöpferische Treue
Vatikan: Papst Franziskus steht gleichermaßen in der Kritik von Linken und Traditionalisten
Jürgen Liminski

Herr Mayr ist verwirrt. Der Spiegel-Redakteur kommt mit Papst Franziskus nicht zurecht und baut einen kleinen Berg an Widersprüchen und Fragen auf, um diesen Papst als „notorischen Unruhestifter“ darzustellen, der „mehr Rätsel aufgibt als jeder seiner Vorgänger“, der dem Vatikan auch nach zwei Jahren fremd geblieben sei und bei dem es immer fraglicher werde, „ob er halten kann, was er zu versprechen schien: Erneuerung, Reformen und eine zeitgemäßere katholische Kirche“. Mayr unterstellt Thesen, handelt mit Behauptungen allgemeiner Art, nennt ein paar Namen von Persönlichkeiten und legt ihnen indirekt kritische Worte in den Mund. Das sind alte Methoden der Manipulation. 

Immerhin, man kann in dieser Geschichte den Auftakt zu einer Jagdsaison sehen, die im Herbst mit der Synode über Ehe und Familie ihren Höhepunkt erreichen dürfte. Dann ist, so hofft das linksliberale Establishment, Schluß mit der Popularität dieses Papstes, der die Massen anzieht. In den zwei Jahren seines bisherigen Pontifikats hat er an die zehn Millionen Menschen auf dem Petersplatz zu Generalaudienzen empfangen. Schon bei seinem Vorgänger Benedikt XVI. hatte sich die Zahl der Teilnehmer bei diesen Mittwochs-audienzen verdoppelt. Weltweit folgen Papst Franziskus 20 Millionen Twitter-Follower. Er hat bei der Vatikanbank durchgegriffen, die Bilanzen gesäubert und Glaubwürdigkeit und Gewinne erhöht. Er mischt in der Politik mit, hat zwischen Washington und Havanna erfolgreich vermittelt, den Völkermord an den Armeniern vor hundert Jahren beim Namen genannt und damit den modernen Sultan Erdogan verärgert. Seine Sprache ist einfach, eingängig, volkstümlich. Da ist nichts Professorales, dafür um so mehr Pastorales. Es ist offenkundig: Papst Franziskus ist ein Hirte, der die Nöte seiner Schäfchen kennt und versteht, ein Mann der freundlichen, aber auch deutlichen Worte.

Mosebach kritisiert die Sprache des Pontifex

Die Sprache ist die Physiognomie des Geistes, meinte Schopenhauer. Sie kommt bei Franziskus so daher, wie er lebt. Intellektuellen mag das zu einfach gestrickt sein. So wie sie über akademische Präzision und Eindeutigkeit der Sprache bei Benedikt XVI. begeistert waren, so sehr legen sie ihre Stirn in Falten, wenn Papst Franziskus spricht, erst recht wenn er das Redemanuskript senkt und die unmittelbare Kommunikation mit den Menschen sucht. „Er wirft flotte Sprüche in den Raum“, kritisiert zum Beispiel der traditionalistische Schriftsteller Martin Mosebach die freie und spontane Rede des Pontifex. Manche Sätze dürfe ein Papst einfach nicht sagen, er müsse sich unter das Amt beugen.

Franziskus entspricht so gar nicht dem Papstbild dieses Schriftstellers. Am liebsten sähe er ihn unter allerlei symbolischen Kleidungsstücken versteckt; Mosebach fürchtet den Verlust des Transzendentalen, das der Stellvertreter Christi verkörpern soll. Fasziniert und gefangen von der Form vergißt der Autor des 2007 erschienenen Buches „Häresie der Formlosigkeit“, wie die Kirche in den letzten zweitausend Jahren überlebte, nämlich dank einer „schöpferischen Treue“ (Johannes Paul II.) zur Botschaft Christi. Der Inhalt ist entscheidend, nicht die roten Schuhe. Der erste Papst, Petrus, ging in Sandalen durch Rom. „Am Ende kommt es auf die Kontinuität an“, sagt Mosebach im Spiegel-Interview. Aber ist Kontinuität nur eine Frage der Form, der formierten Sprache? Das Magazin versucht einen Gegensatz zwischen Papst Franziskus und seinem Vorgänger Benedikt zu insinuieren und führt Mosebach dazu, Franziskus ansatzweise eine Anpassung an den Zeitgeist zu unterstellen. Aber in der Lehre ist bisher keine Abweichung zu erkennen, auch dieser Papst rührt nicht am depositum fidei, wie übrigens keiner seiner Vorgänger, inklusive mancher Päpste des späten Mittelalters, die das Amt wirklich mißbrauchten.

Man kann in der Tat kritisieren, wie er der Kurie kurz vor Weihnachten die Leviten las, daß er den versammelten Kardinälen, Bischöfen und Prälaten ein Dutzend geistige Krankheiten diagnostizierte und nicht die einzelnen Personen, die er de facto meinte, im Vier-Augen-Gespräch auf die Fehler hinwies. Die kollektive Anklage hatte etwas Nutzlos-Schulmeisterliches, so wie ein Lehrer kollektiv seine Klasse ermahnt. Pädagogisch wertvoll ist das nicht. Aber es berührt nicht das Papsttum als solches. Man kann auch kritisieren, daß er zu viel und zu sehr aus dem Bauch rede, was er selber auch schon eingeräumt hat. Aber auch das berührt das Papsttum nicht.

Franziskus predigt keine anderen Inhalte

Die Nagelprobe wird kommen, wenn er sich zum Thema Ehe und Familie nach der Bischofssynode im Herbst äußert. Dann wird man erkennen, daß er einen anderen Stil hat, aber keine anderen Inhalte predigt. Denn es ist nicht vorstellbar, daß er von dem Dogma der Unauflöslichkeit der Ehe abweicht, erst recht nicht, seit er die Ehe und Familie als „Meisterwerk Gottes“ bezeichnet hat. Sein Vorgänger definierte die Familie akademisch präziser als „Kern jeder Sozialordnung“. Das gefällt den Intellektuellen. Mit Meisterwerk kann das Volk allerdings mehr anfangen.

Mosebachs Kritik kommt daher wie die Nörgelei der alternden Europäer an einer Kirche, in der der Einfluß anderer Erdteile sichtbar wächst. Auch das wird sich bei der Synode zeigen. Während die Europäer, allen voran deutsche und französische Bischöfe, die Lehre der veröffentlichten Meinung anpassen wollen und mediengefällig sich als selbständig, jedenfalls nicht als „Filiale Roms“ definieren, denken die Bischöfe der jungen Völker in Afrika und Südamerika eher daran, wie sie das Evangelium den Menschen nahebringen können. Beispiel Brasilien: Mitten im Lärm des Lebens, im Chaos der Straße, im Trubel der Fußballstadien und des Karnevals, bei Musikevents und Massenveranstaltungen sind seit ein paar Jahren junge Missionare der Gemeinschaft mit dem Namen „Vom Chaos zur Herrlichkeit“ unterwegs, um die Frohe Botschaft auch an diesen Plätzen hörbar und sichtbar zu machen. Die Gemeinschaft ist entstanden aus der Arbeit in den Favelas. Die jungen, modernen Missionare wollen den Karneval nicht dem maßlosen Treiben, die Leidenschaft am Sport nicht hemmungsloser Gewalt, die Freude an der Musik nicht falschen Idolen überlassen. Franziskus dürfte – anders als Martin Mosebach – von solchen Initiativen begeistert sein.

Foto: Papst Franziskus bei seiner wöchentlichen Generalaudienz im Vatikan (27. Mai 2015): Ein anderer Stil