© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/15 / 05. Juni 2015

Frisch gepresst

Staatsrechtler. Die vierbändige Geschichte des frischgebackenen Pour-le-mérite-Ordenmitglieds Michael Stolleis über das neuzeitliche öffentliche Recht in Deutschland, die mit der Wiedervereinigung 1990 abschließt, konnte selbst prägende Juristen nur knapp charakterisieren. Daher ist Peter Häberles kompendiöse Sammlung von Biographien und Werkskizzen in einer Aufsatzsammlung über die „Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts“ als Ergänzung nur zu begrüßen. Die Darstellungen führen bis in die unmittelbare Gegenwart, so daß auch die 2011 verstorbenen Staatsrechtler Karl Doehring und Helmut Quaritsch Berücksichtigung fanden. Unter den Fachvertretern, die zwischen 1949 und 1990 an westdeutschen Hochschulen lehrten, fällt die beeindruckende Phalanx von Verteidigern des Nationalstaates und „Skeptikern“ des universalistischen Völkerrechts auf, allen voran Wilhelm G. Grewe, Ernst Rudolf Huber, Werner Weber, Ernst Forsthoff und Hans Schneider. Nicht selten haben ihre Porträtisten, oft nach 1990 auf einen Lehrstuhl gelangt, zwar Mühe, diese Positionen fair darzustellen. Aber selbst der extrem kritische Beitrag über Carl Schmitt muß einräumen, daß seine Lehren weiterhin als „Antidot“ gegen eine „zahm-oberflächliche und naiv-universalistische Theorie“, also gegen die heute „herrschende Meinung“, in Geltung bleiben. (wm)

Peter Häberle u. a. (Hrsg.): Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts. Deutschland–Österreich–Schweiz. Verlag Walter de Gruyter, Berlin 2015, gebunden, 1.058 Seiten, 229 Euro





Entpolitisierung. In den USA tritt seit Jahrzehnten weniger als die Hälfte des Wahlvolks an die Urnen. Eine Entwicklung, der Deutschland und die meisten EU-Staaten seit geraumer Zeit folgen – wie zuletzt die 50-Prozent-Beteiligung bei der Bremer Bürgerschaftswahl offenbarte. Für den linksliberalen Pariser Rechtshistoriker Jacques de Saint Victor ergibt sich aus dieser wachsenden Politikverdrossenheit die größte Gefahr für die Demokratie. Wie er in seinem geschliffenen Essay über die Ideologie der „Antipolitik“ darlegt, geht die Entpolitisierung der Masse einher mit dem Vordringen des „Marktes“ und dem Ausbau der politischen Macht der ökonomischen Eliten, die dem Staat und der „Zivilgesellschaft“ nur noch die Aufgabe überläßt, das Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaftsordnung abzusichern. (dg)

Jacques de Saint Victor: Die Antipolitischen. Mit einem Kommentar von Raymond Geuss. Hamburger Edition, Hamburg 2015, gebunden, 110 Seiten, 12 Euro