© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/15 / 05. Juni 2015

Zahlen Roboter Gewerkschaftsbeiträge?
Industrie 4.0: Androide Apparate sollen die Arbeitswelt umbauen, vermenschlichen – und nebenbei die Geschlechterverhältnisse dekonstruieren
Dirk Glaser

In Dänemark, so berichtet die Gender-Ideologin Dorte Marie Sønder­gaard, Sozialpsychologin an der Universität Aarhus, werden an 42 Grundschulen Roboter eingesetzt, um Kindern Mathematik beizubringen, um mit ihnen zu singen oder zu spielen (Das Argument, 311/15). Im Vergleich mit Japan, wo „unsere technologischen Anderen“ flächendeckend in Wohnungen und Fabriken, von der Altenpflege bis zum Fließband, omnipräsent sind, seien Mensch-Roboter-Interaktionen in ihrer Heimat zwar noch erheblich ausbaufähig, aber auch dänische Androide gestatteten heute bereits Ausblicke in eine Zukunft, die ohne diese unbeholfenen Nachahmungen des Menschlichen kaum mehr vorstellbar sei.

„Die Absurdität Geschlecht als Imaginäres untergraben“

Aus Søndergaards bizarrer Gender-Perspektive sollten Sozialroboter jedoch nicht einfach nur als „Freunde, Haustiere, Babysitterinnen“ den häuslichen Alltag, die Industriearbeit oder die Kranken-, Alten- und Behindertenbetreuung erleichtern. Weitaus kühnere Erwartungen richten sie und ihre unter der Fahne der linken US-Politologin Judith Butler vereinten Mitstreiterinnen seit langem auf Roboter als Alliierte bei der „Dekonstruktion der Geschlechterverhältnisse“. Lassen sich aus Kunststoff und Elektronik Roboter, Humanoide, Androide, Avatare schaffen, die „konstruierte“ Eigenschaften wie männlich und weiblich weiter im Sinne des Gender-Voodoo als „vermeintlich selbstverständliche“ Geschlechter-Dichotomien „auflösen“? Für Søndergaard eine rhetorische Frage, da sie überzeugt ist, daß intensivere Beziehungen zwischen Menschen und Maschinen zwangsläufig „Spiegelungen“ in Kraft setzen, die die „Absurdität Geschlecht“ als „Imaginäres untergraben“.

Daß die aktuelle Diskussion über Roboter-Assistenz von Humanoiden auch mit weniger Ungeist der Utopie auskommt, belegt im gleichen Argument-Heft Welf Schröter vom Forum Soziale Technikgestaltung beim DGB Baden-Württemberg. Für Schröter, der sich seit 25 Jahren in zwei Dutzend Beiräten, Enqueten und Projekten als Experte für die Digitalisierung der Gesellschaft tummelt, steht nicht die Sehnsucht nach Erschütterung von Geschlechterrollen, sondern die Revolutionierung der Arbeitswelt durch humanoide Robotik im Mittelpunkt. Dabei schreckt ihn weniger der japanische „Toyotismus“-Alptraum menschenleerer Fabriken, in denen Roboterarme Bauteile zu Fahrzeugen montieren.

Entscheidender sei die weniger beachtete, sich aber gegenwärtig rasant vollziehende Digitalisierung und Virtualisierung industrieller Kernbereiche der Produktion, nachdem IT-Technik bisher vorwiegend in den „weichen Bereichen“ Verwaltung, Vertrieb, Kundenbetreuung und Organisation dominierte. Jetzt rücke durch neue Speicherchips, schnellere Software, Miniaturisierung und den Netzausbau die „Smart Factory“ und mit ihr die „Entbetrieblichung von Arbeit“ immer näher. Also seien weniger Entlassungen und Vernichtung von Arbeitsplätzen zu befürchten – wie etwa durch massenweisen Robotereinsatz bei Foxconn in China – als vielmehr, unter der Losung „Industrie 4.0“, der sich seit den achtziger Jahren beschleunigende Rückgang der Normalarbeitsverhältnisse. Diese würden ihren sozial normierenden Charakter verlieren und durch „neue Selbständigkeiten“ ersetzt, während sich gleichzeitig durch virtuelle Automatisierung die Kommunikation von den Menschen hin zu den Dingen verschiebe, zur Beziehung der Maschinen untereinander.

Eine Transformation mit janusköpfigem Gesicht: Im wachsenden Sektor der „Freischaffenden“ mache die Robotik zwar nicht den Menschen überflüssig, obwohl sie Rationalisierung und Jobabbau „unerbittlich“ vorantreibe, aber die Sozialstandards senke sie mittelfristig vermutlich genauso ab wie sie die bekannten „Belastungen und Verdichtungen“ bis hin zum „Burnout“ konserviere. Noch sei allerdings der Ausgang dieses widersprüchlichen Szenarios nicht entschieden, da „innovationsfreudige Gewerkschaftsansätze“ den Umbauprozeß der „Industrie 4.0“ auch zur Humanisierung der Arbeit nutzen könnten.

Foto: Ein menschenähnlich sich bewegender Roboter mit Muskeln und Sehnen in den Gelenken statt Motoren – das Projekt Roboy der Universität Zürich: Werden gewohnte Arbeitsverhältnisse ganz verschwinden?