© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/15 / 05. Juni 2015

Früher normal, heute hip
Wie bei Tante Hanni: Von Hand aufgebrühter Kaffee erobert junge Küchen
Heiko Urbanzyk

Irgendwo in Herten, im Ruhrpott der frühen Sechziger. Tante Hanni löffelt Kaffeepulver direkt in die Kanne. Das heiße Wasser wird oben drauf geschüttet. Der Prött, so heißt der Kaffeesatz in der Region, wird später ins Beet geworfen. Keine Filtertüte, keine Pads, kein Vollautomat, dafür der eine oder andere Kaffeepartikel in der Tasse schwimmend – das war halt damals so. Gemütlich, natürlich, bei Tante Hanni.

Im Jahre 2015 ist nichts einfach „halt so“, sondern wohlüberlegt. Und käuflich. Gemütlich soll es wieder sein. So wie früher. In deutschen Studentenstädten muß „der Senseo“ bei trendigen jungen Menschen der Melitta-Methode weichen. Essen und Trinken sind eine Frage der Identität. Der Lübecker Biowissenschaftsethiker Christoph Rehmann-Sutter und der Basler Philosoph Georg Gusewski meinen, Lebensmittel hätten „mit Identität zu tun, mit einer persönlichen Identifikation“. Das Aufbrühen ist zur Lebensweise erhoben worden. Und die normalste Sache der Welt unbedingt zum richtig schön teuren Luxusgut.

Nur Banausen schütten das Wasser einfach so drüber

Der geduldige Filterkaffee-Freund bedarf eines bestimmten Zubehörs. Die Kaffeemühle gehört dazu, denn nach dem Mahlen verlieren die Bohnen schnell ihr Aroma. Echte Kenner greifen auf die Handmühle zurück, zur Not vom Trödelhändler. Aber auch die elektrische Mühle ist erlaubt. „Das Mehl sollte weder zu fein noch zu grob gemahlen werden. Am besten kann man den Grad überprüfen, indem man es zwischen den Fingern reibt“, rät Marco Dettweiler in der FAZ, der viel Zeit zu haben scheint.

Nun die Filtermethode. Handfilterung, selbstverständlich. Ein Porzellanfilter mit Papiereinsatz ist unter Genießern beliebt. Eine japanische Firma beherrscht den Markt. Die Rillen an der Innenseite des Trichters verlaufen so, daß Wasser und Kaffeepulver eine ausgeklügelte Zeitspanne in Kontakt bleiben. Nicht verpönt ist die bekannte Preßstempelkanne, die „French Press“: Das Kaffeepulver wird ins Wasser gefüllt und nach einigen Minuten zu Boden gedrückt, darüber bleibt der fertige Kaffee zurück. Dieser sollte schnell in die Tassen, denn der Bodensatz wirkt negativ auf den Geschmack ein. Ein führender dänischer Hersteller bietet außerdem ein System mit einem Metallfilter an, bei dem von oben aufgegossen wird.

Was für Tante Hanni aus Herten früher „halt so war“, nennt sich heute übrigens „die reine Lehre“. Die Bayreuther Kanne bietet Puristen den „unverfälschten Geschmack“: Mehl in die Kanne geben und über einen speziellen Einsatz das Wasser auf das Pulver träufeln lassen.

Hundertprozentige gießen das heiße Wasser nicht wie ein blindwütiger Banause in den Filter. Der Wasserkocher ist nur die Notlösung. Das Optimum ist der japanische Wasserkessel, der einer Gießkanne ähnelt und perfektes, zielgenaues Eingießen ermöglichen soll. Ob billig oder nobel, zumindest das gleichmäßige Eingießen mit kreisender Bewegung sollte jeder hippe Kaffeetrinker befolgen. Die perfekte Wassertemperatur liegt bei 92 bis 96 Grad Celsius – nach dem Aufkochen das Wasser einen Augenblick stehenlassen.

Fehlt etwas? Ach, ja: Ohne Kaffeebohnen kein Kaffee. Massenware von Tschibo und Co. ist tabu. Der Kaffeegenießer, der auf sich hält, geht heute in eine Rösterei. Solche ist nicht nur Berliner oder Frankfurter Trendies vorbehalten. In der münsterländischen Provinz bietet die Privatrösterei Schröer ihre Dienste in Dülmen und Tilbeck an. Einsteiger können für 39 Euro an einem Kaffeeseminar mit Theorieteil und „Live-Röstung“ teilnehmen.