© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

„Das ist wunderbar!“
Goerd Peschken gilt als der Experte für das Berliner Schloß und gab den Anstoß zu dessen Wiederaufbau. Bis heute wird er dafür angefeindet
Moritz Schwarz

Herr Professor Peschken, von Ihnen kam die Idee zum Wiederaufbau des Schlosses.

Peschken: Eigentlich ging es in dem Entwurf, den mein Freund, der Architekt Frank Augustin, und ich 1991 vorgestellt hatten, darum, den Palast der Republik – also das damals an diesem Platz stehende Parlamentsgebäude der DDR – zu erhalten.

Ironie des Schicksals?

Peschken: So könnte man sagen.

Der Vorstoß, den „Palast" zu erhalten, führte zu dessen Verschwinden?

Peschken: Na ja, er wäre ja wohl auch ohne den Wiederaufbau des Schlosses abgerissen worden, aber das war uns damals noch nicht klar.

Sie wollten das Schloß gar nicht?

Peschken: Ich konnte mir damals gar nicht vorstellen, daß es wieder aufgebaut werden könnte! Allerdings haben mich die historischen Verluste der Kriegs- und Nachkriegszeit in der Baukunst immer besonders geschmerzt. Und die Zerstörung des Schlosses war der wohl schwerste architektonische Aderlaß für Deutschland und Berlin. Es hat den Stadtraum geprägt, und unsere Idee war, diesen zu heilen.

Und zwar, ohne den „Palast" zu verlieren, warum das?

Peschken: Ich bin grundsätzlich dagegen, Geschichte durch Abriß zu entsorgen. Wichtige historische Gebäude sollten erhalten bleiben, sie gehören zu uns.

„Palast" und Schloß gleichzeitig, wie sollte das gehen?

Peschken: Unsere Idee war, eine Glasfassade mit aufgedrucktem „Schloß" in der Sichtachse des Boulevards Unter den Linden zu plazieren und mit einem Spiegel zu „verlängern", so daß der Eindruck einer vollen Fassadenfront entstanden wäre. Dahinter hätte der Palast der Republik fortexistieren können.

Die Idee wurde 1993 teilweise realisiert.

Peschken: Der Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien erkannte, daß er eine solche Simulation als Werbung für den Wiederaufbau des Schlosses nutzen könnte. 1992 gründete er dafür den „Förderverein Berliner Schloß" und 1993 errichtete er unsere Attrappe. Das hat die Debatte um den Wiederaufbau dann richtig in Fahrt gebracht. Dank der Kulisse haben viele plötzlich die Bedeutung des Schlosses für den Stadtraum verstanden.

Allerdings nicht die „Palast"-Anhänger.

Peschken: Unseren ursprünglichen Vorschlag hat eigentlich niemand kapiert, erstaunlicherweise nicht einmal die Anhänger des Palastes der Republik. Denen galt ich sofort als finsterer Reaktionär, der das böse Hohenzollernschloß Stein für Stein wiederaufbauen wolle. Wollte ich zwar zunächst gar nicht, aber das ist dann daraus geworden. Ich bekomme das bis heute zu spüren, Augustin auch.

Inwiefern?

Peschken: Es gibt sie eben immer noch, die Schloßhasser. Eigentlich war die gesamte Fachwelt von Beginn an dagegen, die Kunsthistoriker waren dagegen, die Denkmalschützer waren dagegen, die Intellektuellen waren dagegen, Walter Jens war dagegen, alle waren sie dagegen!

Warum?

Peschken: Weil es beim Schloß um das Nationalbewußtsein unseres Volkes geht.

Konkret?

Peschken: Ich meine, das hat mit unserem Hang zum Nationalmasochismus zu tun, wonach alles, was unsere Geschichte tangiert, moralinsauer eingelegt werden muß. Vor allem tun das die Leute gerne, die sich selbst als völlig unschuldig betrachten. Wir alle leben auch von der Zerstörung der Dritten Welt. Hoffentlich wird das Humboldt-Forum auch das thematisieren.

Ist denn das Schloß tatsächlich ein deutsches Nationalsymbol?

Peschken: Gute Frage, denn ursprünglich war es das in der Tat in viel geringerem Maße als etwa das Warschauer Schloß für die Polen. Das hängt mit der wesentlich komplizierteren Nationswerdung von uns Deutschen zusammen. Denn erst Bismarck hat die deutschen Stämme ja regelrecht zusammengezwungen – und dabei Österreich, das auch ein Stück Deutschlands war, weggestoßen, was ihm viele damals verübelt haben. Zum unbestrittenen Nationalmonument ist das Schloß dann eigentlich erst durch seine Sprengung auf Geheiß der SED geworden. Sowie durch seinen, durch das Ende der Teilung 1990 möglich gewordenen Wiederaufbau als Zeichen der deutschen Wiedervereinigung. Die Sprengung 1950, die natürlich im Westen auch propagandistisch ausgeschlachtet wurde, war damals ein traumatisches Symbol für die deutsche Spaltung.

Für die SED war es ein Symbol preußischen Feudalismus, deshalb mußte es weg.

Peschken: Es war ein Symbol für die Geschichte – und deshalb mußte es weg! Die Sprengung war im Grunde der Versuch der SED, Deutschland zu verleugnen. Friedrich Dieckmann hat darauf hingewiesen, Mao Tse-tung habe seine Staatsfeste mit Stolz vor der Kulisse des Kaiserpalastes zelebriert und sich damit als legitimer Nachfolger inszeniert. Ulbricht und Co. dagegen taten so, als seien sie vom Himmel gefallen. Aber Geschichte zu verdrängen – das funktioniert nie.

Sehen Sie die heutigen „Schloßhasser" in der Tradition dieser Verdrängung?

Peschken: Sicher. Dabei haben Preußen und die preußische Einigung Deutschlands natürlich erhebliche Schattenseiten. Ich nenne nur Bismarcks „Blut und Eisen"-Politik. Bismarcks Größe war, daß er verstanden hat, daß aus den deutschen Ländern ein gemeinsamer Staat werden mußte, weil man sich sonst nicht würde behaupten können. Das Tragische daran aber ist, daß er diese Einheit bewußt gegen die Demokraten hergestellt hat. Wir leben aber in diesem Staat. Nun pauschal zu sagen, deshalb müßten wir mit unserer Geschichte brechen, oder gar, darum sei sie zur Gänze schlecht gewesen ... da kann man nur mit dem Kopf schütteln.

Kritiker sagen hinter vorgehaltener Hand, in Berlin versuche man alles, um möglichst wenig historischen Stadtraum um das Schloß herum wiedererstehen zu lassen. Motto: Wenn schon eine Rückkehr deutscher Geschichte, dann doch bitte sowenig wie möglich.

Peschken: Das kann ich leider bestätigen. Nehmen Sie zum Beispiel das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten, das heute im Ehrenhof des Schloßsses Charlottenburg steht. Erstens ist es eines der ganz wenigen bedeutenden Reiterdenkmale in Europa. Zweitens ist es eines der Hauptausstattungsstücke des Schloßensembles überhaupt, das man Kurfürst Friedrich Wilhelm im 18. Jahrhundert deshalb widmete, weil er die Souveränität Ostpreußens gegenüber Polen erkämpft hatte, womit er den Aufstieg Preußens überhaupt erst ermöglichte. Es stand bis zum Krieg auf der Langen Brücke – der heutigen Rathausbrücke – in unmittelbarer Nähe und in Bezug zum Schloß. Der zuständige Berliner Bezirk tut dennoch alles, um zu verhindern, daß das Denkmal wieder in seinem historischen Kontext aufgestellt wird. Das gilt auch für weitere Elemente, wie zum Beispiel den jedem Berlin-Besucher bekannten Neptunbrunnen, der heute vor dem Roten Rathaus steht – auch wenn der, ein Geschenk Berlins an Kaiser Wilhelm II., keine ursprüngliche Bedeutung für das Schloßensemble hat. Man versucht tatsächlich, jedes Bestreben, möglichst viel historischen Kontext wiederherzustellen, kaputtzumachen.

Warum wird das versucht?

Peschken: Das sind eben Leute, die sich zwar für links halten, in Wirklichkeit aber nur Opportunisten sind.

Sie gelten doch selbst als Linker.

Peschken: Links bedeutet, aufgeklärt zu sein, und nicht, sich ängstlich und verkrampft an Dogmen festzuhalten.

„Es ist wie ein Traum,
der Wirklichkeit wird"

Sie haben gefordert, der Bundespräsident solle im Schloß residieren.

Peschken: Ich meinte, als Symbol unserer Staatssouveränität gehörte er eigentlich dorthin.

Aber wäre das nicht eine maximale Provokation? Sofort würde der Vorwurf laut, er stelle sich in die Tradition des Kaiserreichs.

Peschken: Ach was, das Schloß war gemäß unserer Geschichte der Sitz der Souveränität, daher gehört er dorthin! Ich meine, schon der Reichspräsident hätte dort einziehen müssen. Ich vertrete die These, daß die reaktionäre Szene dafür gesorgt hat, daß nach dem Ersten Weltkrieg schnell das Kunstgewerbemuseum im Schloß untergebracht wurde, damit nicht etwa Reichspräsident Friedrich Ebert von der SPD dort einziehen konnte. Leider bin ich nie dazu gekommen, der Annahme einmal wissenschaftlich nachzugehen, schade.

In der „Welt" haben Sie gefordert: „Das Schloß darf nicht nur Fassade sein!" Aber ist es nicht genau das?

Peschken: Leider ist das so, wobei die Hoffnung bleibt, daß nach und nach auch einzelne Räume oder etwa Elemente wie die wunderbare Gigantentreppe rekonstruiert werden. Allerdings, der Zeit, aus der die Fassaden stammen, war die moderne Idee, daß Außen und Innen übereinstimmen müßten, noch fremd gewesen. So daß die barocke Fassade und der moderne Innenbau so gesehen keinen historischen Bruch darstellen.

Dann ist der gerngemachte Disneyland-Vorwurf unzutreffend?

Peschken: Schon Walter Jens hat diesen Nonsens geäußert und obendrein von Potemkinschen Dörfern gesprochen, was noch unsinniger war. Disneyland ist etwas Verkitschtes, das es an seinem Ort nie gegeben hat. Die Schloßfassade dagegen wird mit größter kunsthistorischer Ernsthaftigkeit rekonstruiert, wo sie einmal war. Das hat mit Disneyland gar nichts zu tun. Überhaupt gibt es eigentlich fast nie ein intelligentes Argument gegen die Rekonstruktion. Und das Dümmste ist, wie ich das schon einmal in einem Interview beschrieben habe, einen Gegensatz von Alt und Neu herzustellen, zu behaupten, wir wären moralisch verpflichtet, etwas Neues zu bauen. Man ist moralisch zu überhaupt nichts verpflichtet, in der Kunst gibt es keine Moral. In der Kunst gilt nur, was gut ist. Und das alte Gute ist genausogut wie das neue Gute. Und das sage ich als großer Verehrer der Moderne – ich bin kein Vergangenheitsoptimist. Mich interessiert nur Qualität, und das Berliner Schloß war erste Qualität!

Sie gelten als der führende Experte zur Architekturgeschichte des Schlosses. Gerade von einem Puristen wie Ihnen hätte man Widerspruch erwartet.

Peschken: Natürlich verliert das Ganze durch die materielle Wiederherstellung des Schlosses an Delikatesse und intellektueller Spannung. Unsere Spiegel-Lösung wäre etwas zum Nachdenken gewesen. Moderne Kunst funktioniert, indem sie die Phantasie mobilisiert. Und ich persönlich brauche schon deshalb keinen Wiederaufbau, da ich geschätzt 25 Pfund Literatur über das Schloß geschrieben und es inzwischen vollständig im Kopf habe. Dennoch finde ich es nötig und richtig, daß das Schloß erinnert wird, nun in der Form, daß es wiederaufersteht. Das ist doch wunderbar, das ist schon wie ein Traum, der Wirklichkeit wird!


Foto: Das fertige Schloß (Simulation), Hauptfront und Schlüterhof: „Die Denkmalschützer, die Kunsthistoriker, die Intellektuellen, alle waren sie dagegen ... (schließlich) geht es beim Schloß um das Nationalbewußtsein unseres Volkes."




 

Prof. Dr. Goerd Peschken gilt als Nestor der Forschung zum Berliner Schloß. Sein dreibändiges Werk „Das königliche Schloß zu Berlin" (Deutscher Kunstverlag, 1992) gehört zu den wichtigsten Quellen für die Rekonstruktion der Barockanlage. Der Zeitschrift Bauwelt gilt der Experte für Karl Friedrich Schinkel und Andreas Schlüter als „einer der bedeutendsten deutschen Bauhistoriker des 20. Jahrhunderts". Zuletzt war Peschken Mitglied der „Internationalen Expertenkommission Historische Mitte", deren Empfehlung die Grundlage für den Beschluß des Deutschen Bundestages von 2002 zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses war. Geboren wurde der Architekt 1931 im thüringischen Nordhausen. Er lehrte von 1970 bis 1975 an der Technischen Universität Berlin und von 1975 bis zu seiner Emeritierung 1996 an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Aus seiner Feder erschien 1998 außerdem der umfangreiche Band „Das Berliner Schloß" im Propyläen-Verlag.

 

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