© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

„Unsere Aufgabe sind die deutschen Kriegstoten“
Gedenkpolitik: Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge debattiert über den richtigen Umgang mit den eigenen Gefallenen
Felix Lehmann

Der Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Markus Meckel, beginnt in der Gegenwart, in Osteuropa. Auf einer Veranstaltung der Partnerorganisation des Volksbundes in der Ukraine, erzählt Meckel, habe sich neulich ein ukrainischer Kollege entschuldigen lassen. Er mußte zur Beerdigung eines Freundes. Dieser war als Soldat in der Ostukraine gefallen. 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und knapp 15 Jahre nach den Jugoslawienkriegen seien der Krieg und das Sterben wieder nach Europa zurückgekehrt.

„Gedenken, ohne zu ehren" lautete in der vergangenen Woche der Titel der Podiumsdiskussion in Berlin. Meckel will das Gedenken an die Gefallenen gestalten, ohne zu vergessen, welche Verbrechen von deutscher Hand begangen wurden. Daß diese Gratwanderung auch 70 Jahre nach dem Ende des Krieges immer noch schwer ist, weiß ein Zuschauer zu berichten. Würdiges Gedenken sei in unserer christlichen Gesellschaft selbstverständlich, unabhängig davon, ob es sich um Verbrecher gehandelt habe oder nicht. Nach der Schlacht um Breslau im Frühjahr 1945 seien nach der Einnahme der Stadt über 1.000 verwundete Deutsche von den Sowjets liquidiert worden. „Alle Gefallenen wurden in Breslau mit Gedenkkreuzen geehrt – doch für die Deutschen steht dort kein Kreuz", empörte sich der ältere Herr sichtlich erregt.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge widmet sich der Aufgabe, deutsche Kriegsgräber im Ausland zu identifizieren, zu erhalten und zu pflegen.

Gegründet wurde der Volksbund nach dem Ersten Weltkrieg, denn die neue deutsche Regierung war politisch und wirtschaftlich nicht in der Lage, sich um die Gräber der Gefallenen zu kümmern. Nach dem Zweiten Weltkrieg legte der Volksbund zunächst 400 Kriegsgräberstätten an.

Heute befinden sich 832 Kriegsgräberstätten in seiner Obhut. Die Suche nach vermißten Soldaten in Osteuropa war erst nach der Wende möglich. Dank der Kriegsgräberabkommen mit den ehemaligen Ostblockstaaten konnten 860.000 Kriegstote geborgen und umgebettet werden, ein Drittel wurde identifiziert. Auch heute noch werden jährlich Tausende Gefallene geborgen. Doch ohne die Mithilfe aus der Bevölkerung, etwa durch Angehörige, die Fragen stellen oder Antworten kennen, kann auch der Volksbund nicht erfolgreich sein.

Meckel kritisiert deutlich die Sprachlosigkeit der deutschen Politik, wenn es um würdiges Gedenken der eigenen gefallenen Soldaten geht. Zum 70. Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie im Juni 2014, an dessen Feierlichkeiten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel teilnahm, sprach Meckel die Einladung aus, auch den deutschen Soldatenfriedhof zu besuchen – Merkel kam nicht, sondern besuchte den britischen Friedhof bei Ranville und dankte dort den Alliierten für die „Befreiung". Altbundeskanzler Gerhard Schröder hatte es zehn Jahre zuvor ebenso gemacht.

„Wir haben ein generelles Problem mit unserer Geschichte", klagt der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi. Er verweist auf die Befreiungskriege gegen Frankreich 1813 bis 1815. „Glauben Sie, daß ein deutscher Militär wie Napoleon ein Ehrengrab erhalten hätte?" Er bringt ein weiteres Beispiel: Während des „Hamburger Architektursommers" sei das 34 Meter hohe Bismarck-Denkmal der Stadt für ein Kunstprojekt mit einem Geißbock gekrönt worden. „Können Sie sich das in Großbritannien vorstellen?" fragt er ungläubig. Deutschland müsse mit seiner Geschichte ehrlicher umgehen, fordert Dohnanyi, die Verbrechen isolieren, die Glanzpunkte würdigen. Nicht „Gedenken, ohne zu ehren" , sondern „Gedenken und Trauern", denn Deutschland solle sich endlich mit seiner Geschichte versöhnen.