© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

„Die Stadt stimmt wieder“
Richtfest: Schon als Rohbau prägt das als Humboldtforum neuerrichtete Berliner Stadtschloß wieder die historische Mitte der Hauptstadt
Marcus Schmidt

Der Boden ist aus Beton. Die Wände auch, ebenso die Decke. Überall nackter, grauer Beton. „Wir stehen jetzt im Schlafzimmer der Kaiserin", sagt Manfred Rettig und lacht. Natürlich ist das falsch. Nichts deutet hier auf eine hochherrschaftliche Vergangenheit hin. Und doch ist es richtig, was der Chef der Stiftung Humboldtforum sagt. Denn hier in der Mitte Berlins sind Geschichte und Gegenwart untrennbar miteinander verbunden.

Der 62 Jahre alte Architekt ist für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses verantwortlich. Er hat einen exzellenten Ruf, seitdem er den Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin geräuschlos organisiert hat. Nun sorgt er bislang erfolgreich dafür, daß der 590 Millionen Euro teure Bau des Humboldt-forums weder Kosten- noch Zeitpläne sprengt. Und er muß die Vergangenheit des Schlosses mit der Zukunft als Museum der Weltkulturen zusammenführen. Die modern ausgestatteten Innenräume mit der historischen Fassade. „Transformation" nennt Rettig diese Aufgabe.Denn in diesem Gebäude, das derzeit, von der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, an zentraler Stelle der Hauptstadt entsteht, ist das Alte neu und das Neue mitunter alt. Bis in die Wahl der Baumaterialien schlägt sich dieses Nebeneinander nieder. So werden rund 100.000 Kubikmeter Beton „vergossen" und 20.000 Tonnen Stahl verbaut – aber eben auch ganz traditionell 3,5 Millionen rote Backsteine aufgemauert und mehr als 10.000 Tonnen bearbeiteter Sandstein in der Fassade verankert.

Während Rettig also bei einer Besichtigungstour im ersten Stock des Rohbaus in einem zugigen, hallenartigen Raum steht, der früher einmal das Schlafzimmer der Kaiserin beherbergte und der ab 2019 von der Berliner Zentral- und Landesbibliothek genutzt werden soll, blickt einige Meter entfernt ein älterer Herr in den mit Maschinen und Baumaterial vollgestellten Schlüterhof des Schlosses.

Durch Spenden wird die Fassade „demokratisiert"

„Ich muß mich manchmal selbst kneifen", sagt Wilhelm von Boddien. Rettig mag als Stiftungschef Herr über das Humboldtforum sein. Doch der eigentliche Schloßherr ist der 73 Jahre alte Kaufmann aus Hamburg. Mit seinem 1992 gegründeten Förderverein Berliner Schloß hat von Boddien jahrelang unermüdlich für den Wiederaufbau der vom SED-Regime gesprengten Hohenzollernresidenz getrommelt. Gegen erhebliche Widerstände und Anfeindungen. Ohne von Boddien, das bestreiten nicht einmal seine Gegner, könnte an diesem Freitag nicht Richtfest gefeiert werden.

Und schon der Rohbau zeigt, wie sehr das Schloß der Stadt gefehlt hat. Nahtlos fügt es sich in die Bebauung der historischen Mitte der Hauptstadt ein. Kein Wunder, war doch die Residenz der brandenburgischen Kurfürsten, preußischen Könige und deutschen Kaiser von jeher nicht nur Machtzentrum, sondern auch das architektonische Herz der Stadt. Alle umliegenden Bauten, so hatten die Befürworter eines Wiederaufbaus des Schlosses unermütlich argumentiert, seien in ihren Proportionen und ihrer Gestaltung auf das Schloß ausgerichtet gewesen. Ein Blick aus dem ersten Stock der Lustgartenfront zeigt, wie recht sie hatten. Sofort stellt sich das Gefühl ein, daß es „paßt". Oder wie von Boddien es formuliert: „Die Stadt stimmt wieder." Der Wiederaufbau sei daher auch eine Wiedergutmachung an der Baugeschichte Berlins. Alte Sichtachsen haben plötzlich wieder ein Ziel. Die Straße Unter den Linden endet nicht mehr auf dem tristen Parkplatz, der dem Palast der Republik vorgelagert war, sondern, wie von Schloßbaumeister Andreas Schlüter einst geplant, vor dem barocken Portal IV des Stadtschlosses. Blickt man von dort aus dem Fenster, reicht der Blick bis zum Brandenburger Tor.

Von außen wirkt der gewaltige, 35 Meter hohe Bau (mit Kuppel sind es sogar 60 Meter) bislang allerdings noch wenig königlich. Doch das ändert sich. Vor einigen Wochen haben die Arbeiten an der historischen Fassade begonnen. Ziegelreihe um Ziegelreihe schmiegt sich diese nun jeden Tag ein Stückchen mehr wie ein kostbares Gewand um den grauen Betonklotz. Am Ende, wenn der rote Backstein unter einer cremefarbenen Putzschicht verschwunden ist, werden drei der vier Außenfassaden und drei Seiten des sogenannten Schlüterhofes im alten barocken Glanz erstrahlen. Finanziert ausschließlich durch Spenden, wie Wilhelm von Boddien verspricht, der mit seinem Förderverein bereits 50 Millionen Euro gesammelt hat. Allein im vergangenen Jahr kamen 15,6 Millionen Euro zusammen. „Angesichts dieser Zahlen sind wir etwas leichtsinnig geworden und haben uns bereiterklärt, über die zugesagten 80 Million Euro hinaus weitere 25,5 Millionen Euro zu sammeln", erzählt von Boddien schmunzelnd. Mit dem zusätzlichen Geld soll unter anderem der historische Schmuck der Schloßkuppel finanziert werden. Das Geld komme von Menschen aus ganz Deutschland, die Fassade sei total „demokratisiert". In der Öffentlichkeit werden von Boddiens Spendenzahlen immer wieder in Zweifel gezogen. Doch Stiftungschef Rettig bestätigt den Spendenfluß. Derzeit seien zur Finanzierung der Fassade keinerlei Vorleistungen aus Steuergeldern notwendig.

Ohne Spenden muß die an der Spree gelegene Ostseite des Humboldtforums auskommen. Sie wird nach den Plänen des italienischen Architekten Franco Stella modern gestaltet. Für Schloßpuristen ist dies ebenso ein Ärgernis wie das schmucklose Innere des Baus. Doch nicht nur von Boddien weiß, daß diese Kompromisse den Wiederaufbau überhaupt erst ermöglicht haben – und daß das letzte Wort hier noch nicht gesprochen ist. Eine bautechnisch mögliche Rekonstruktion wichtiger Innenräume ist für von Boddien derzeit zwar kein Thema. Doch er fügt hinzu: „Am Kölner Dom ist ja auch 500 Jahre gebaut worden." Und wer weiß, vielleicht erstrahlt einst das kaiserliche Schlafzimmer ja doch wieder in altem Glanz.



Am 13. und 14. Juni kann die Baustelle des Stadtschlosses jeweils von 10 bis 18 Uhr besichtigt werden.


www.berliner-schloss.de


1443
Baubeginn unter Kurfürst Friedrich II. von Brandenburg


1465
Die spätgotische Erasmuskapelle  wird eingebaut


1699
Andreas Schlüter baut das Schloß zu einem der bedeutendsten Profanbauten des protestantischen Barock aus


1845 – 1853
Bau der Kuppel durch Friedrich August Stüler und Albert Dietrich Schadow


1918
Karl Liebknecht ruft nach Abdankung des Kaisers die sozialistische Republik aus


3. Februar 1945
Bei einem Bombenangriff brennt das Schloß fast komplett aus


7. September – 30. Dezember 1950
Das SED-Regime läßt die Schloßruine sprengen
 

1976
Am Standort des Stadtschlosses wird der    „Palast der Republik“ fertiggestellt


1989/1990
Erste Forderungen nach Wiederaufbau des Schlosses werden erhoben


1993
Der Förderverein für das Stadtschloß errichtet eine Fassadensimulation


2002
Der Bundestag beschließt den Wiederaufbau


Februar 2006 – Dezember 2008
Abriß des „Palastes der Republik“


2008
Franco Stella siegt im Architekturwettbewerb


2011
Eröffnung des provisorischen Informationszentrums „Humboldt-Box“


2012
Errichtung einer Musterfassade


12. Juni 2013
Grundsteinlegung für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses


12. Juni 2015
Richtfest


Mitte 2019
geplante Eröffnung