© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

Grüße aus Moskau
Sie lieben die Gefahr
Thomas Fasbender

Russen lieben es extrem. Das wußte schon Bernd Meinunger als er für Ralph Siegels Popband Dschinghis Khan dichtete: „Komm wir tanzen auf dem Tisch, bis der Tisch zusammenbricht – ha ha ha ha ha, hey!" Zwischen Nordmeer und Elbrus schätzt man das Hochprozentige, ob Wodka, Kitzel, Risiko oder Gefahr. Männer sind noch Männer.

Gibt es gerade keine Nachbarländer zu annektieren, hilft man sich mit dem Reenactment siegreicher historischer Schlachten, wie etwa der auf dem Peipussee 1242. Am Wochenende hat ein Petersburger, dem die Festnahme drohte, seinen Tablet-Computer zerbrochen und aufgegessen. Zwei Stunden später war er tot. Suizid? Auf jeden Fall sehr russisch.

Nirgendwo genießt alles, was mit Extremsport zu tun hat, eine solche Aura wie in Rußland. Gemeint ist nicht das alljährliche Eisbad am 19. Januar, gemeint sind die risikobeladenen neuen Sportarten in der Luft, am Berg und im Wasser.

Inzwischen ist Bungee-Jumping in Moskau nur noch was für Manager mit Burn-out.

Als junge Australier 1993 das erste Bungee-Seil nach Moskau brachten und im Gorki-Park an einen Kran hängten, hätten sie rund um die Uhr arbeiten können und immer noch Publikum gehabt. Die Australier waren baff. An jedem anderen Ort, so erzählten sie der jungen Moscow Times, würden die Leute immer stiller, je höher die Gondel gen Himmel steige. Nur nicht in Moskau, da hätten sie die Kundschaft davon abhalten müssen, zu früh zu springen.

Inzwischen ist Bungee-Jumping nur noch was für Manager mit Burn-out. Das Internet bewirbt den jeweils jüngsten Sport zwischen Königsberg und Wladiwostok. Es ist auch nicht mehr alles auf Amerika konzentriert. Die Fallschirmspringer-Dropzone bei Kolomna im Moskauer Umland ist mit täglich über 80 Starts die Nr. 1 in Europa. Selbst die Base-Jumper müssen nicht mehr in den Yosemite-Park. In der Vorwoche stellte der 50jährige Walery Rosow das Video seines atemberaubenden Wingsuit-Flugs zwischen den Steilwänden einer Kaukasusschlucht ins Netz.

Höhepunkt für russische Technikaffine war die FIA-Formel-E-Meisterschaft am vergangenen Samstag in Moskau. Zwanzig Boliden rasten mit 250 Stundenkilometern über einen kurvigen Kurs rund um den Kreml, 35 Runden lang. Wie lautlose Blitze ging das an den Tribünen vorüber, jeder der grazilen Wagen angetrieben von einem 272-PS-McLaren-Elektromotor. Rußland taugt eben auch für einen Blick in die Zukunft.