© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

Globaler Irrglaube
Zentralbanken: Negativzinsen sind Fortsetzung der Geldpolitik mit anderen Mitteln / Kapitalverkehrskontrollen und Bargeldverbote drohen
Peter Boehringer

Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen hat sich zwischen April und Juni verachtzehnfacht. Was dramatisch klingt, ist es auch – doch exakt andersherum: Nach einem nie zuvor gesehenen Tiefpunkt bei 0,05 Prozent Ende April rentierte die Bundesanleihe vorige Woche bei noch immer absurd tiefen 0,9 Prozent. Real nach Inflation vernichten Bundesanleihen schon seit Jahren Kaufkraft.

Lange Jahre schwankte das Zinsniveau einer Bundesanleihe bei sechs Prozent. Doch die derzeit erreichte, noch vor wenigen Jahren kredittheoretisch komplett undenkbare nominale Nullinie bei der deutschen Referenzanleihe ist eine bemerkenswerte neue Zäsur in der derzeitigen Voodoo-Ökonomie der Zentralbanken. „Negativzinsen! Man fragt sich unwillkürlich, was kommt als nächstes? Geld vom Bäcker für die frisch gebackenen Brezen?", fragt zu Recht die überparteiliche „Liberale Vereinigung".

In Anlehnung an den preußischen General Carl von Clausewitz lautet die Kampftaktik der Notenbanken gegen die Sparer heute: „Negativzinsen sind die Fortsetzung von Geldpolitik mit anderen Mitteln." Die Europäische Zentralbank (EZB) beließ vorige Woche ihren Leitzins bei 0,05 Prozent – und dabei soll es zunächst auch bleiben.

Monetäre Lockerung
erzeugt neue Billionen

Die Zinsen werden zudem durch Ankaufprogramme für „systemrelevante" und -protegierte Anleihen von Staaten und Konzernen extrem nach unten manipuliert. Seit März kauft die EZB im Rahmen ihrer monetären Lockerung (Quantitative Easing/QE) monatlich für 60 Milliarden Euro fragwürdige Vermögenswerte – bis September 2016 sollen so insgesamt 1,14 Billionen Euro die Finanzmärkte fluten. Dieses QE-Programm ist damit größer als das der US-Notenbank Fed. Bis Ende Mai erwarb die EZB so Staatsanleihen im Gesamtvolumen von 147 Milliarden Euro.

Suprastaatlich verbindlich gemachte Eigenkapitalvorschriften wie Basel II und III zwingen darüber hinaus institutionelle Anleger wie Pensionskassen oder Lebensversicherer dazu, riesige Teile der von ihnen fremdverwalteten Anlagemittel der Kleinsparer in die angeblich risikolosen und sicher zinslosen Anleihen zu investieren. Doch es gebe „niemanden mehr, der freiwillig und ohne EZB-Garantie europäische Staatsanleihen hält", zitierte das Magazin Smart Investor einen dieser Geldverwalter. Lediglich Investoren, die regulatorisch dazu gezwungen würden, hielten solche Papiere: Banken, Pensionsfonds und Versicherungen. Allerdings werden fast 40 Prozent der über fünf Billionen deutschen Geldvermögens von Assekuranzen und Pensionskassen verwaltet.

Notfalls agieren die Zentralbanken auch ganz direkt als Staatsanleihen-Aufkäufer. Damit ist dann die komplette Nachfrageseite künstlich verfügt. Mexiko konnte in diesem Jahr nur dadurch eine absurde hundertjährige Anleihe erfolgreich emittieren – von 30jährigen Anleihen des längst konkursreifen Griechenlands ganz zu schweigen. Negative Zinsen sind Ausdruck des nicht nur keynesianischen Irrglaubens, man könne sich reich konsumieren und diese dauerhafte Weltbeglückung mit Gratiskrediten und Billionen an zins- und kostenfrei gedruckten Rettungsgeldern auch noch zwangsverfügen. Selbst nach mehrfachem Scheitern dieser Ideologie ist dieser Irrglaube heute global politikbestimmend. Dank des staatlichen Geldmonopols und des Papiergeldsystems ist es Banken und Politikern in Washington, Brüssel, London oder Tokio seit Jahrzehnten möglich, sich jenseits des ökonomischen Gesetzes von Risiko und korrespondierender Rendite zu bewegen.

Geldsozialismus
durch Dauerintervention

Noch ist die Blase an den Anleihemärkten nicht geplatzt – auch die medial beeindruckende Korrektur um 1.700 Prozent ist nur mathematisch der minimalen Basis um die Nullinie herum geschuldet. Die Zentralbanken können den Nullzinswahnsinn auch noch einige Zeit aufrechterhalten. Doch wenn eines Tages unvermeidlicherweise die Naturgesetze zuschlagen und der Zins auf ein risikoadäquates Niveau zurückwill: was wäre dann die zu erwartende Antwort der Notenbanken und Politiker? „More of the same", muß man fürchten: Der staatskapitalistische Geldsozialismus durch Dauerintervention zeigt immer mehr seine häßliche Fratze.

Geld wird durch einen Kreditschöpfungsakt quasi aus dem Nichts geschaffen, statt durch vorherige Arbeit, Ansparen oder Minderkonsum. Die Folgen sind verheerend. Solche Markteingriffe sind aber nichts anderes als Eingriffe in die freie Willensbildung von Millionen Menschen: Kapitalfehlallokationen, Blasenbildungen in vielen Märkten, Enteignung der Sparer. Mittelfristig wird die Einschränkung elementarer bürgerlicher Eigentums- und Freiheitsrechte daher immer drakonischer werden: Nach der inzwischen faktischen Eliminierung des Sparbuchs und aller bislang halbwegs risikofreien Investments folgen überall Maßnahmen der „finanziellen Repression": elektronische Kapitalverkehrskontrollen und schleichende Bargeldverbote.

Sogar das regierungsfreundliche Handelsblatt moniert inzwischen: „Reichtum macht arm: Deutschlands Sozialkassen sitzen auf Milliarden Euro. Doch dieses Vermögen wird zum Problem, weil die Notenbank Negativzinsen für hohe Anlagesummen verlangt." Selbst Schweizer Pensionskassen flüchten derzeit mit riesigen Summen ins Bargeld. Doch Strafzinsen auf Guthaben – nicht etwa auf Kredite – fordern Widerstand und Umgehung geradezu heraus: Der Schweizerische Nationalbank-Präsident Thomas Jordan hat bereits offen davor gewarnt, die Negativzinsen zu umgehen. Denn dies „diene nicht dem allgemeinen Interesse der Schweiz und laufe den Absichten der Geldpolitik zuwider".

Münzen und Geldscheine ein Anachronismus?

Eine Rechtsgrundlage zur Verhinderung der Flucht ins Bargeld gibt es in der Schweiz und Deutschland zwar noch nicht. Doch die Drohung steht klar im Raum: „Bei den heutigen technischen Möglichkeiten sind Münzen und Geldscheine tatsächlich ein Anachronismus", orakelte Peter Bofinger, seit elf Jahren Mitglied im vom Bundespräsidenten berufenen Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Auch die völlige Aufhebung des durchlöcherten Bankgeheimnisses bei Barein- und -auszahlungen ist nur noch eine Frage der Zeit.

Politiker und Banker fürchten nichts mehr als eine Situation, in der alle Bürger versuchen, ihre Bankguthaben abzuheben und das Bargeld zu horten. Im heutigen Banksystem der Teilreservehaltung würde ein solcher Ansturm auch in Deutschland zum Zusammenbruch des Bankensystems führen. Die fast 1,9 Billionen Spar,- Sicht- und Termineinlagen existieren lediglich elektronisch. Die einzige Möglichkeit für den Staat, dem Bürger die Fluchtmöglichkeit zu nehmen und so die Handlungsfähigkeit der Notenbank auch bei negativen Zinsen zu erhalten, wäre das Verbot von Bargeld – unauffällig in kleinen Schritten eingeführt: etwa zur „Bekämpfung der Steuerhinterziehung" oder wegen möglicher „Terrorfinanzierung".

Sparbuch, Anleihen sowie die mit toxischen Staatsanleihen hinterlegten Lebensversicherungen (JF 24/15) sind Anlegern nicht mehr anzuraten: Die schnelle Enteignung durch Bondcrash oder Emittentenausfall droht ebenso wie die schleichende durch latente Kaufkraft­erosion ohne Zinskompensation. Auch die Flucht in Aktien ist keineswegs risikolos, angesichts der niedrigen Dividendenrendite, der hohen Kursindices und des teilweise hohen Verschuldungsgrad vieler börsennotierter Unternehmen sind es nur noch bedingt sichere Sachwerte. In einer Welt fast zinsloser Anlagen hat nun allerdings Gold seinen Hauptnachteil – keinen Zinsertrag – verloren.


Peter Boehringer ist Vermögensberater und Vorstand der Deutschen Edelmetallgesellschaft. Sein aktuelles Buch „Holt unser Gold heim" (Finanzbuch Verlag 2015) analysiert den Kampf um das deutsche Staatsgold.


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