© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

Für das Ohr schreiben
Literatur-Nobelpreisträger: Eine Erinnerung an den irischen Nationaldichter und William Butler Yeats
Silke Lührmann

Mit dem Nobelpreis für Literatur, den sie William Butler Yeats 1923 als erstem Iren verlieh, würdigte die Schwedische Akademie „seine stets von hoher Eingebung getragenen Dichtungen, die in vollendeter Gestalt das Wesen seines Volkes zum Ausdruck bringen". Diese Gestaltung einer genuin irischen Identität, die keltisches Kulturerbe und westeuropäische Moderne miteinander konfrontiert, wenn nicht versöhnt, war für den überzeugten Nationalisten kein rein literarisches, sondern auch und vor allem ein emphatisch politisches Projekt.

Der Sproß einer angesehenen protestantischen anglo-irischen Familie kam vor 150 Jahren, am 13. Juni 1865, in Sandymouth bei Dublin im damals noch britisch regierten Irland zur Welt, zählte als junger Mann im ausgehenden 19. Jahrhundert zu den federführenden Kräften der irischen literarischen Renaissance und saß von 1922 bis 1928 als gestandener Literat im Senat des frisch in die Unabhängigkeit aufgebrochenen Freistaats. Die erste, womöglich einzige große Liebe seines Lebens war die Offizierstochter, glühende Revolutionärin und Suffragette Maud Gonne, seine große Gönnerin die Aristokratin Isabella Augusta Gregory. Das 1904 von ihm und Lady Gregory mitgegründete und -geleitete Abbey Theatre in Dublin wurde 1925 zum ersten staatlich subventionierten Theater im englischsprachigen Raum und zählt bis heute zu den wichtigsten Kulturinstitutionen der Republik Irland.

Dubliner Blutbad eine „furchtbare Schönheit"

Als er am 28. Januar 1939 während eines Aufenthalts in einem Gästehaus an der französischen Riviera einem Herzleiden erlag, stand die Welt, wie er sie kannte, vor einer Gewaltentladung nie zuvor erlebten Ausmaßes, die sie in ihren politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Grundfesten erschütterte und die Dichtung zwar nicht endgültig verstummen ließ, ihr jedoch neuartige Kompromisse und Komplizitäten abrang und aufzwang: seinem Freund und zeitweiligen Sekretär Ezra Pound etwa, der sich als Sprachrohr des faschistischen Regimes in Italien hergab und nach dem Krieg zwölf Jahre in einer psychiatrischen Anstalt in Washington verbrachte. Yeats’ eigenes Wort von der „furchtbaren Schönheit", die aus dem Blutbad des Dubliner Osteraufstands vom 24. bis 30. April 1916 entstand („A terrible beauty is born"), erhält vor dem Hintergrund der Debatten um die moralische Berechtigung von (Dicht-)Kunst nach Auschwitz und Hiroshima eine ungeahnte Tragweite.

Seit dem Umzug nach London, wo der Vater, ein studierter Anwalt, sich ab 1867 als Porträtmaler versuchte, wuchs der junge Yeats zwischen der Hauptstadt eines selbstbewußten Kolonialreiches einerseits und dem Haus seiner Großeltern in der Grafschaft Sligo am äußersten Westrand Europas andererseits auf, bis die Familie 1880 nach Dublin zurückkehrte. Er erlebte den Sturm und Drang sowohl der universalistischen Moderne als auch des irisch-nationalistischen Freiheitskampfes, las die französischen Symbolisten und die englischen Romantiker, keltische Sagen und die Werke des schwedischen Mystikers und Theosophen Emanuel Swedenborg, trat in London der esoterischen Vereinigung Hermetic Order of the Golden Dawn bei und gründete später in Dublin selber einen hermetischen Orden.

Als Student an der Dubliner Kunstakademie trat er zunächst in die väterlichen Fußstapfen, bis er seine eigene künstlerische Ausdrucksform in der Lyrik und Dramatik fand. Seine Gedichte erschienen bereits 1885 in der Dublin University Review, vier Jahre später folgte mit „Oisins Wanderung" die erste von vielen Sammlungen, die seit den frühen siebziger Jahren auch in einer sechsbändigen deutschsprachigen Gesamtausgabe vorliegen.

Sein dichterisches Programm formulierte er 1937 im Rückblick als Versuch, „aus der Dichtung jeden Satz zu tilgen, der fürs Auge geschrieben ist, und alles auf eine Syntax zu bringen, die allein für das Ohr bestimmt ist (…) ‘Schreibe fürs Ohr’, dachte ich, ‘so daß man dich sofort versteht, als stünde ein Schauspieler oder ein Volkssänger vor dem Publikum." Im Vergleich zu den Mitbewerbern um den Titel des bedeutendsten Vertreters der irischen Moderne – Oscar Wilde, James Joyce und Samuel Beckett – ging es ihm dabei weniger um Erneuerung als vielmehr um Bewahrung.

Spannungsfeld zwischen vielfältigen Einflüssen

Yeats’ stürmische Beziehung mit Maud Gonne begann 1889. Nachdem sie seine Heiratsanträge über eineinhalb Jahrzehnte lang konsequent abgeschlagen hatte, ehelichte er 1917 die 27 Jahre jüngere Georgie Hyde Lees, die nicht nur sein Interesse am Okkulten teilte, sondern ihm auch die ersehnten Erben schenkte: eine Künstlerin und einen Politiker. Der Sohn Michael saß mehrere Amtsperioden lang im irischen Oberhaus und war von 1973 bis 1979 Mitglied des Europäischen Parlaments, seine Schwester Anne arbeitete zeitweilig als Bühnenbildnerin am Abbey Theatre.

Das Spannungsfeld zwischen den vielfältigen Einflüssen, tagespolitischen und zeitgeschichtlichen, künstlerischen und esoterisch-okkulten Belangen, die ihn zeitlebens umtrieben, wird im Nachruf der New York Times prägnant abgesteckt: „Wenn er sich mit dem Handwerk abrackerte, das er sich ausgesucht hatte, dem Schreiben von Gedichten, Essays und Bühnenstücken, ließ Mr. Yeats seine Gedanken häufig in weit entfernten Gefilden der Phantasie schweifen, und für die behutsame Schönheit dieser Werke wurde er von vielen als größter englischsprachiger Dichter seiner Zeit gefeiert. Nebenher fand Yeats Zeit, Kreuzzüge für weltliche Belange zu führen, hier jedoch fiel er vor allem durch die Hartnäckigkeit und Tatkraft auf, mit der er seine Ziele verfolgte."


William Butler Yeats, gemalt von Augustus John, 1930: Senatsmitglied im in die Unabhängigkeit aufgebrochenen Irischen Freistaat