© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

Und die Biologie hat doch recht
Naturwissenschaft contra Gender-Ideologie: Eine Standortbestimmung der Humanethologie
Christoph Keller

Mit dem ausdrücklichen Auftrag, Material zu liefern, um den Siegeszug der Genetik und das Eindringen ihres „erbbiologischen Determinismus" in die Gesellschaftspolitik zu bremsen, schickte der New Yorker Kulturanthropologe Franz Boas 1925 seine Schülerin Margaret Mead (1901–1978) nach Samoa. Schon nach wenigen Monaten angeblich intensiver Feldforschung kehrte die Tochter einer militanten Feministin mit einer Studie über die Pubertät junger Frauen zurück, die, 1928 publiziert unter dem Titel „Coming of Age in Samoa", zum meistverkauften anthropologischen Werk des 20. Jahrhunderts wurde.

Der Fall Margaret Mead war exemplarisch

Franz Boas’ Makrotheorie, der Rhythmus der Kultur und nicht der Rhythmus der Physiologie bestimme das Leben des Menschen, schien glänzend bestätigt. Verlief Pubertät auf Samoa doch gravierend „streßfreier" als bei Mädchen in den USA, da die Insulanerinnen ungehemmt sexuelle Erfahrungen machen durften. Ein Phänomen, das die Revision des Paradigmas universaler biologischer Fixierung des jugendlichen Reifeprozesses zu fordern schien. Erklären ließ sich Abweichung nur, wenn man unterstellte, Prägungen der Kultur seien stärker als die Macht der Biologie. Meads Ausblicke auf die Geschlechter- und Sozialverhältnisse der erwachsenen Samoaner, die keine Eifersucht kannten, keine die US-Gesellschaft durchdringende Aggression und Gewalt, weder Mord noch Selbstmord, komplettierten das Bild vom sexuellen Südseeparadies.

1931 glaubte Mead sogar die stärkste biologische Bastion des „Patriarchats" schleifen zu können, als sie behauptete, bei den von ihr besuchten Indigenen im Hochland Papua-Neuguineas sei der Rollentausch der Geschlechter der Normalfall, es gebe bei diesen im übrigen durchweg pazifistischen Urmenschen also weder „typisch männliches" noch „typisch weibliches" Verhalten. Mit derart sensationellen „Erkenntnissen" brachte es Mead nicht nur in Windeseile zur jahrzehntelang amtierenden Präsidentin der American Association of Anthropology und zu 28 Ehrendoktoraten, sondern auch zur Ikone der in den 1960ern ausgerufenen „Sexuellen Revolution" und zur Ur-Mutter einer westlichen Leitideologie des 21. Jahrhunderts, des Geschlecht zur „Konstruktion" umdeutenden Genderismus.

Margaret Meads Evangelium des vom biologischen Joch befreiten Menschen hat nur einen Fehler: es ist selbst ein wissenschaftlich unhaltbares Konstrukt. Schlimmer noch: ein Phantasma, das seine Urheberin nur deshalb nicht unter die Scharlatane der Wissenschaftsgeschichte einreiht, weil sie vorsatzlos handelte und auf ihre eigenen Wunschbilder hereinfiel, mit denen sie die in der westlichen Zivilisation weitverbreitete Sehnsucht nach einem herrschaftsfreien, vegetativ-lustvollen Dasein bediente.

Es dauerte lange, bis ihre Neuguinea-Studie mit Hinweisen auf den von ihr ignorierten, dort üblichen Frauenraub korrigiert wurde, noch länger, bis in den 1980ern der neuseeländische Ethnologe Derek Freeman (1916–2001) aufdeckte, daß Mead wenig Samoanisch sprach und verstand, nicht, was methodischer Standard war, in den Dörfern ihrer Probandinnen gelebt und als Frau auch nie Zugang zu den das gesamte Inselleben rigide regulierenden Männerversammlungen erhalten hatte. So „entging" ihr die auf Samoa etablierte extrem repressive Sozialkontrolle und die strukturelle Gewalt, die auch heute noch eine der weltweit höchsten Suizidraten bedingt.

„Margaret Meads Fall" zeige, so konstatiert Wulf Schiefenhövel (Max Planck-Institut für Ornithologie/AG Humanethologie in Seewiesen): „Wer ein eingängiges Paradigma aufstellt, das den Zeitgeist einfängt, hat nach wie vor Chancen, ein Millionenpublikum hinter sich zu versammeln, auch wenn die Aussagen auf tönernen Füßen stehen." Ein Blick in den feministischen Medienkosmos bestätigt dieses betrübliche Fazit eines Naturwissenschaftlers, da die Entlarvungen Meads bestenfalls mit dem Eingeständnis quittiert werden, ihre Forschungen seien mittlerweile „umstritten".

Stammesgeschichtliches
gilt heute als „Nazi"

Forschungspolitisch kommen Meads Blamage sowie andere von Schiefenhövel skizzierte, ideologisch induzierte Skandale der naturwissenschaftlich orientierten, in einer von Konrad Lorenz und Karl von Frisch geprägten großen austro-deutschen Tradition der in der Verhaltensbiologie verankerten Humanethologie allerdings nicht zugute. Im Gegenteil: Die vom Lorenz-Schüler Irenäus Eibl-Eibesfeldt begründete Human­ethologie, die Verhaltensbiologie, die Anthropologie, die in einem Leipziger Max-Planck-Institut konzentrierte Evolutionäre Anthropologie und Paläoanthropologie der Frankfurter Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung seien, wie Schiefenhövel in einer „Standortbestimmung" seiner Wissenschaft darlegt (Naturwissenschaftliche Rundschau, 4/15), die Verlierer; die Verlierer im Konkurrenzkampf mit den methodisch zwar unanfechtbaren Neuro­wissenschaften und der Mikrobiologie, die aber den Blick auf die Ganzheit von Individuen und Spezies preisgeben, sowie mit den vom „Kulturrelativismus" befeuerten Disziplinen, die à la Mead die conditio humana losgelöst von biologischen Universalien der Menschheit bestimmen wollen.

Auch in vielen ethnologischen Instituten Deutschlands expandiere jene „postmodern-dekonstruktivistische Herangehensweise", die eine evolutionsbiologisch-humanethologische Sichtweise des Menschen mit stammesgeschichtlich gewordenen Eigenschaften „rundweg oder weitgehend" ablehne und sie „in die Nähe gefährlicher politischer Ideologie" rücke, was exemplarisch Veröffentlichungen über den „Rassisten" und „Nazi" Konrad Lorenz belegen.

Dabei habe die Humanethologie ihrerseits kein Problem mit kulturellen Einflüssen menschlichen Verhaltens. Vielmehr konzediere sie, daß der lernfähige Homo sapiens, den die Evolution formte, Prägungen seiner jeweiligen Umwelt unterliege. Nur geschehe dies im Zusammenspiel zwischen Genen und Umwelt, das allein auf der Grundlage bestätigter oder falsifizierter Empirie aufzuklären sei.

So wiesen die artenvergleichende, vor allem die Primatologie nutzende, daher Tier und Mensch einander näher rückende, sowie die kulturvergleichende Humanethologie eine Fülle universaler Verhaltensweisen des Fühlens, der Sexualität, des Denkens nach, die gerade nicht kulturabhängig seien, sondern die einen basalen Bestand an hormoneller Steuerung, an Ausstattung mit Transmittersubstanzen, an mentalen wie kognitiven Strukturen und Verhaltensdispositionen voraussetzten, die „in allen Populationen identisch" seien. Das gelte auch für komplexe, essentiell von der „Gehirnchemie" regulierte Verhaltensmuster, die Teil jeder Kunst und Religion sind.


Wulf Schiefenhövel – Kurzübersicht über sein Denken:


www.denkwerkzukunft.de/index.php/aktivitaeten/index/schiefenhoevel


Foto:

Archetypus Krieger – Männer und Jungen vom Stamm der Asaro in Papua-Neuguinea posieren stolz mit Pfeil und Bogen: Ein basaler Bestand an mentalen wie kognitiven Strukturen und Verhaltensdispositionen ist in allen menschlichen Populationen identisch