Als ich diesen Betrunkenen sehe, der am anderen Ende des U-Bahnsteigs Leute anspricht, die keine Biodeutschen sind, die ihn erst mustern und dann ebenso verächtlich weiterschicken, schwant’s mir schon: Er wird auch mir seine Flasche Früh-Kölsch anbieten, beseelt von irgend etwas, so als ob er die Welt umarmen könnte. Ich nehme auf dem Gittersitz der Verkehrsbetriebe die embryonale Smartphone-Stellung ein und lese einen Blog: „... als symptomatisch für die gesellschaftlich erwünschte und inzwischen weitgehend abgeschlossene Transformation des deutschen Mannes zum schwanzlosen Softie, zum Haustier, zum Pudel, in gewissen Anteilen auch zur originären Schwuchtel", Michael Klonovsky lästert wieder über den deutschen Mann.

Und dann steht der Betrunkene vor mir, 22 Jahre, gepflegte Jeans, Lacoste-Pulli und schicke Jacke. Immer noch schamlos und im Überschwang spricht er mich an, ob ich denn diese Flasche Bier mit ihm trinken wolle. Und auch ich werde ihn erniedrigen müssen: Ich mein’ – ich bin nüchtern, ich kenne ihn nicht, bin grad eh nicht so gut drauf, wie soll ich denn jetzt dieses Bier mit ihm trinken? Ich möchte noch ein wenig was lesen, bis ich zu Hause bin, also ganz ehrlich, das ist doch ein bißchen zuviel verlangt, es tut mir wirklich leid.

Also richte ich mich aus der Smartphone-Stellung auf, schaue zu ihm hoch und lehne ihn in der Art ab, wie man normalerweise proaktiv bettelnde Penner ablehnt, weil wir in einem Sozialstaat leben. Für einen Moment kommt’s mir vor, als wolle er jetzt aggressiv werden, was er eben bei den Leuten, die keine Biodeutschen sind, nicht gemacht hat, glaube ich, aber er fängt sich und zieht von dannen. Einige Minuten später kommt er in einer Gruppe wieder, seine Clique hat ihn also wiedergefunden, Jungs mit Segelschuhen und Mädchen mit Pferdeschwänzen und rotgeschminkten Lippen.