© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

Dem Einwanderungssystem geht die Puste aus
Frankreich: Kontroverse um Umgang mit Illegalen / Abschiebungsautomatismus für abgelehnte Asylbewerber / Abkehr vom Geburtsrecht?
Friedrich-Thorsten Müller

Weite Teile der EU ächzen unter dem Ansturm von illegalen Einwanderern und Flüchtlingen vor allem aus Afrika und dem Nahen Osten. Auch wenn Frankreich im vergangenen Jahr mit 57.000 Anträgen nur ein Drittel der in Deutschland eingereichten Asylgesuche zu bewältigen hatte, haben Staat und Gesellschaft mit dieser Einwanderung massiv zu kämpfen. Schließlich beklagt das Land heute schon 3,5 Millionen Arbeitslose und bekommt seine Wirtschaftskrise und die staatliche Neuverschuldung nicht in den Griff. 

Da es in Frankreich außerdem bis dato keinen regionalen Verteilungsschlüssel für Asylbewerber gibt, kommt es in den präferierten Großräumen Paris und Lyon sowie im Osten Frankreichs zum Teil zu chaotischen Zuständen. In Calais, wo Tausende Einwanderer auf die Weiterreise nach Großbritannien hoffen, bilden sich gar regelrechte Zeltstädte im Hinterland des Hafengeländes. 

Illegale Lager werden geräumt

Die Lage ist gerade in den vergangenen Monaten durch explodierende Zuzugszahlen so ernst geworden, daß Frankreich gegen den Widerstand von Menschenrechtsaktivisten und linken Politikern mehrere illegale Lager auflöste, sowie damit begann, Afrikaner an der Grenze zu Italien an der widerrechtlichen Einreise zu hindern.

Vor dem Hintergrund dieser Situation und aufgrund der EU-Direktive zum Asylrecht vom Juni 2013 will und muß sich nun Frankreich ein neues Asylrecht geben. Es liegt auf der Hand, daß die sozialistische Regierung bei diesem heiklen Thema eine einvernehmliche Lösung mit den bürgerlichen Republikanern (vormals UMP) anstrebt, die noch dazu die zweite Parlamentskammer, den Senat, dominieren. Das Vorhaben scheiterte im Vermittlungsausschuß erst einmal vorläufig an einem Detail, das darüber entscheiden dürfte, ob das neue Recht eher für mehr oder weniger Asyl-Einwanderer in Frankreich sorgen wird. Denn der Senat hatte bei seiner Lesung des Gesetzes den Text um einen Abschiebungsautomatismus für abgelehnte Asylbewerber ergänzt, was die sozialistische Regierung aber ablehnt. Bisher ist es üblich, daß bis zu 75 Prozent der abgelehnten Asylbewerber trotzdem im Land bleiben.

Zu den zwischen Sozialisten und Republikanern unstrittigen Bausteinen des neuen französischen Asylrechts gehört eine beschleunigte Bearbeitungsfrist der Asylanträge von künftig neun Monaten gegenüber aktuell 24 Monaten. Auch wird es in Zukunft eine Residenzpflicht an zugeteilten Orten im Land geben, wodurch man die Zuwanderer besser über die heute 273 staatlichen und 34 gemeinnützigen Aufnahmezentren im Land verteilen möchte.

Ferner zielt das neue, in diesen Punkten von den Republikanern mitgetragene Gesetz aber eher darauf ab, die rechtliche Situation von Asylbewerbern zu stärken und mehr Mittel bereitzustellen. So soll durch die Anwesenheit von „Beratern des Vertrauens“ bei Anhörungsgesprächen mit den Vertretern der Asylbehörde OFPRA „die fragile Lage des Antragstellers“ stärker berücksichtigt werden. Auch soll zeitnah der volle Zugang zur allgemeinen Krankenversicherung gewährt werden. Es wird eine automatische Arbeitserlaubnis nach neun (und nicht erst zwölf) Monaten geben, und „Gewalt gegen Frauen“ soll als Asylgrund anerkannt werden. Darüber hinaus sollen neue Stellen in der Asylbehörde OFPRA und 5.000 neue Beherbergungsplätze geschaffen werden.

Ob dies alles geeignet ist, ein „System, dem die Puste auszugehen droht“ (Premierminister Manuel Valls), am Leben zu erhalten, ist mehr als fraglich. Marine Le Pen, die Vorsitzende des Front National, bezeichnet die Politik, die hinter diesem Gesetz steht, in jedem Fall als „einwanderungsfreundlicher als alles, was wir je hatten“. Solange sich Valls und Sarkozy nicht von ihre Unterwürfigkeit gegenüber Brüssel befreien würden, sei mit keinen Verbesserungen der Zuzugssituation in Frankreich zu rechnen, da „Einwanderung Teil der DNA der EU“ sei. Auch die von der EU geplante Quotenregelung für Asylbewerber würde Frankreich eher mehr als weniger Einwanderer bescheren, so die 46jährige Politikerin.

Indes versucht der Parteichef der vor zwei Wochen als Republikaner neugegründeten UMP, Nicolas Sarkozy, mit einem anderen einwanderungspolitischen Vorschlag von dem vor allem aufgrund von EU-Recht notwendigen Kompromiß im Asylrecht abzulenken: Sarkozy regte an, daß in Frankreich geborene Kinder künftig nur noch dann automatisch Franzosen werden sollten, wenn deren Eltern Franzosen oder EU-Ausländer seien.