© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

Verschwiegenheit ist Pflicht
Netzwerk der Mächtigen: Die Bilderberg-Konferenz tagte von der Öffentlichkeit abgeschirmt in Tirol
Thorsten Hinz

Die alljährlichen Bilderberg-Treffen sind ein größeres Mysterium als das Konklave zur Papstwahl, das im Durchschnitt alle zehn Jahre stattfindet. Denn das Konklave wählt bloß das Oberhaupt der katholischen Kirche, die Zusammenkünfte der Bilderberger aber – so raunen die angeblich Wissenden – bestimmen das Schicksal der Welt.

Am meisten beigetragen zu dem Eindruck haben die Bilderberger selbst. Nach den knappen Informationen, die sie an die Öffentlichkeit dringen lassen, handelt es sich bei ihren Zusammenkünften  um eine privat organisierte und finanzierte Angelegenheit, die einen zwanglosen Austausch zwischen internationalen Führungskräften aus Politik, Wirtschaft, Militär, Geheimdiensten und Medien über globale Probleme ermöglicht.

Ursprung und Umstände wecken indes Mißtrauen. Das erste Treffen fand 1954 im holländischen Oosterbeek, im Hotel Bilderberg, statt. Prinz Bernhard der Niederlande war der erste Vorsitzende. Sekretariate befinden sich im holländischen Leiden und in New York. Der lose organisierte Club geht auf ein Netzwerk namens „Europäische Bewegung“ zurück, das aus den USA finanziert wurde und sich die Einigung Westeuropas zum Ziel setzte, um gemeinsam gegen die sowjetische Bedrohung zu bestehen. Tatsächlich sollen sogar die Römischen Verträge, die 1957 die heutige EU begründeten, im Rahmen der Bilderberger konzipiert worden sein.

Seitdem versammeln sich alljährlich rund 130 einflußreiche Politiker, Finanz- und Wirtschaftsleute, Lobbyisten, strategische Vordenker, Aristokraten, Militärs und Journalisten aus Nordamerika und Europa an wechselnden Orten. Verschwiegenheit ist Pflicht, es werden keine Protokolle und Schlußerklärungen veröffentlicht. Wie stets in der Vergangenheit war auch die diesjährige Tagung, die in Tirol stattfand, hermetisch von der Öffentlichkeit abgeschirmt.

Auf der Liste der nichtständigen Teilnehmer findet man unter dem ersten Buchstaben des Alphabets die amerikanische Historikerin und Publizistin Anne Applebaum, die mit ihren Aufsätzen und Artikeln den westlichen Blick auf Osteuropa und Rußland mitbestimmt und mit dem ehemaligen polnischen Außenminister Sikorski verheiratet ist. Unter Z ist der ehemalige US-Vize-Außenminister und Weltbank-Präsident Robert Zoellick, der heute bei Goldman Sachs tätig ist, aufgelistet. Aus deutscher Sicht sind die Namen von Paul Achleitner, Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Springer-Konzerns, oder Thomas Enders, Chef der Airbus Group, von besonderem Interesse. 

Auffällig ist die starke Präsenz von Vertretern multinationaler Wirtschafts- und Finanzunternehmen sowie supranationaler Organisationen und Zusammenschlüsse. Man kann annehmen, daß sie sich einig sind in dem Bewußtsein, einer zu globaler Führung berufenen Elite anzugehören. Politiker, die im nationalstaatlichen Rahmen tätig sind, wirken in dem Umfeld wie Hospitanten. Die Einladung seitens der Bilderberger kommt einen Ritterschlag gleich und bedeutet einen persönlichen Prestigegewinn. Beides eröffnet die Aussicht auf weitere Karriereschritte.

Die Tatsache, daß in diesem Jahr Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eingeladen wurde, ließ denn auch das Gerücht aufkommen, hier werde die Inthronisierung einer neuen Regierungschefin in Gang gesetzt, weil Merkel hinsichtlich der Ukraine und der Griechenland-Finanzierung eine unsichere Kantonistin geworden sei. Merkel hatte 2005 an der Bilderberg-Tagung teilgenommen, im selben Jahr wurde sie tatsächlich Kanzlerin. 

Doch solche kausalen Zusammenhänge sind brüchige Konstrukte. 2012 wurde der Grünen-Politiker Jürgen Trittin, der Aspirationen auf das Finanzministerium in einer rot-grünen Bundesregierung hegte, zum Jahrestreffen nach Washington geladen. Das war ein deutliches Signal, daß einflußreiche Kreise den früheren linksradikalen Pöbler jetzt für nützlich und ministrabel hielten. Trittin beging einen Fauxpas, als er aus der Tagung heraus twitterte, daß die Versammlung das Zögern von Kanzlerin Merkel, einer von Deutschland garantierten Schuldenunion in Europa zuzustimmen, für falsch und gegen die europäische „Integration“ gerichtet halte. Er hingegen war dazu bereit. Wenn er am Ende doch kein Minister wurde und ins zweite Glied zurücktreten mußte, lag das allerdings nicht am Regelverstoß, sondern schlichtweg am schlechten Wahlergebnis von SPD und Grünen. Die fehlenden Stimmen konnte auch „Bilderberg“ nicht ausgleichen. An solche Fakten scheitern die schlichten Theorien über die Allmacht des elitären Clubs.

Die Spekulationen über den Einfluß der Bilderberger und ähnlicher Zusammenschlüsse und Einrichtungen wie die Trilaterale Kommission, das Weltwirtschaftsforum Davos oder die Atlantik-Brücke schwellen in dem Maße an, wie die nationalen Regierungen inklusive der Bundesregierung als hilflose Zuschauer der eigenen Politik erscheinen. Glaubt jemand ernsthaft, daß Angela Merkel, die angeblich mächtigste Frau der Welt, in der Währungs-, Einwanderungs- oder TTIP-Frage die Richtlinien der deutschen Politik bestimmt? Die Frage, bei einer Bilderberg-Tagung in den Raum gestellt, würde dort gewiß schallendes Gelächter auslösen!

Das heißt, daß die herkömmlichen Theorien über die demokratische Praxis, über das Wechselspiel von Legislative und Exekutive, über die Prüfung und das Abwägen der Argumente im öffentlichen Raum, ehe eine Entscheidung gefällt wird, obsolet sind. Für den Bundestag wird gerade ein neuer Erweiterungsbau mitsamt einer pompösen Rotunde fertiggestellt, der Hunderte Büros und Besprechungsräume aufnehmen soll. Es handelt sich um reine Kulissenarchitektur, denn zu entscheiden haben die Abgeordneten immer weniger. Offiziell sind die Kompetenzen nach „Europa“ abgewandert. Doch auch das Europaparlament – dessen Zustandekommen und Struktur zweifelhaft genug sind – hat nichts zu bestimmen. Parlamentspräsident Martin Schulz, neuester Träger des Karls-

preises und lupenreiner Demokrat, hat kürzlich eine Plenardebatte über das geplante Freihandelsabkommen TTIP aus formalen Gründen kurzerhand abgesagt. Ob er einem Anruf aus dem Bilderberg-Sekretariat gehorcht hat?

Wer so fragt, macht es denen leicht, die jede Kritik an undurchsichtigen Entscheidungsstrukturen als Verschwörungstheorie lächerlich machen. Man darf sich die supranationale Machtausübung nicht vertikal und hierarchisch, von einem einzigen geheimen Verschwörungszentrum ausgehend, vorstellen, sondern als ein Netz- und Wurzelwerk, das aus vielen sich kreuzenden Verbindungssträngen besteht. Einige sehr wichtige laufen im Bilderberg-Club zusammen.

Foto: Protest gegen die Bilderberg-Konferenz im Interalpen-Hotel in der Tiroler Gemeinde Telf: Ursprung und Umstände wecken Mißtrauen