© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

Der Flaneur
In deutschem Land unterwegs
Paul Leonhard

Fahrkarte? Kaufen? „Nee, interessiert mich nicht. Ich bin der Busfahrer.“ Die drei jungen Männer, Asylbewerber aus Südosteuropa, verharren noch einige Sekunden, dann zucken sie mit den Schultern und steigen in den Bus ein. Genauer gesagt in den Schienenersatzbus. „Ich fahre aber erst in einer halben Stunde“, ruft der Fahrer ihnen hinterher. „Eine Stunde?“ Die Männer schauen sich fragend an. Dann steigen sie wie auch die einheimischen Passagiere wieder aus.

Bauarbeiten bringen es mit sich, daß die Strecke zwischen der an der Grenze gelegenen Kreis- und der Landeshauptstadt zur Abenteuerreise wird. Bedient wird sie von mehreren kleinen Privatbahnen, die ihrerseits unterschiedliche Busunternehmen als Schienenersatz einsetzen.

Die Fünfjährige flirtet mit kindlicher Unschuld. Die drei erkennen ihre Chance.

Endlich im richtigen Bus, hat es eine junge Frau mit kleiner Tochter den Burschen angetan. Die wohl Fünfjährige flirtet mit kindlicher Unschuld. Die drei erkennen ihre Chance. Besonders ein Großer mit noch größerer Nase macht schöne Augen. Leider steigt an der nächsten Station ein Schwarzafrikaner zu, der sich zielgerichtet hinter die Frau setzt und für deren Tochter schon farblich viel interessanter ist. Auch der Afrikaner gibt sofort zu erkennen, daß er kleine Kinder mag. Die Frau, umzingelt von Ausländern, ignoriert tapfer die Anmachen. Und zu ihrem Glück endet die Busfahrt bald. Im Zug ist mehr Platz. Sie setzt sich weit weg von Großnase und Afrikaner.

An der übernächsten Station muß der Zug gewechselt werden. Von hier aus fährt eine andere Privatbahn. Die Asylbewerber studieren den Snackautomaten, werfen Münzen ein und freuen sich, als das Gewünschte in den Schacht fällt. Später beobachten sie eine Gruppe deutscher Jugendlicher. Unvermittelt rütteln die jungen Männer heftig an dem Automaten, schicken sich an, ihn mit Gewalt zu öffnen. Die Mädchen sind begeistert, johlen. Die Südosteuropäer sprechen miteinander, lachen: Aha, scheinen sie zu begreifen, so macht man in Deutschland Mädchen an.