© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Zeitschriftenkritik: Etappe
Kulturmarxistische Erfolge
Werner Olles

Ist der Kulturmarxismus nur „ein Schlagwort aus Übersee oder belastbares Deutungsschema“, fragt Thomas Kuzias in seinem Beitrag „Cultural Marxism“ in dem von Heinz-Theo Homann in zwangloser Folge herausgegebenen „Zirkular des drakonischen Denkens“, der Zweiundzwanzigsten Etappe. Tatsächlich haben die naiven oder perfiden Ideologien des westlichen Universalismus bis hinauf zu Habermas & Co. darauf bis heute keine adäquate Antwort gefunden. Das liegt einerseits daran, daß sie selbst dazugehören, andererseits aber auch an der Inkonsequenz einer Denkschule, die sich nicht recht entscheiden kann zwischen einer ranzig gewordenen Aufklärung und einer Modernisierungsgeschichte, die ständig in Gefahr ist, von Vernunft in Irrationalität, von Fortschritt in Barbarei und von Demokratie in Diktatur umzuschlagen. Während sich im Kalten Krieg mit den totalitären Einparteiensystemen und planwirtschaftlichen Ökonomien des Ostens sowie den egalitären Massendemokratien und kapitalistisch verfaßten Volkswirtschaften des Westens zwei ideologische Universalismen feindlich gegenüberstanden, rüstete man westlicherseits nach der Implosion des Kommunismus ideologisch ab, um geruhsam dem „Ende der Geschichte“ (Fukuyama) entgegenzudämmern.

Doch spätestens seit 1967/68 mußte damit zu rechnen sein, daß eine neue Form des Marxismus, eben der „Kulturmarxismus“, auf den Plan treten würde, um einen modernen, emanzipatorischen Marxismus zu kreieren, der nicht mehr von der „Befreiung der Arbeiterklasse“ träumte, sondern dem es um die Hegemonie in kulturellen Fragen (Gramsci) ging, um die Bevorzugung von variablen Minderheiten und eine liberalistische Menschenrechtsideologie. Daß sein Erfolg bis heute andauernd und der geistige Amoklauf seiner Protagonisten noch lange nicht zu Ende ist, hat auch damit zu tun, daß Konservative und Rechte die Geschichte des Marxismus und seiner vielfältigen Angebote nie richtig studiert und verstanden haben.

In einem für die Zeitschrift Diavazo im April 1998 geführten Gespräch mit Panajotis Kondylis weist dieser auf die Frage, ob er rechts oder links stehe, darauf hin, daß Konservatismus, Liberalismus und Sozialismus in dem Maß ihre Bedeutung verlieren, „in dem das Zeitalter der Neuzeit sich im massendemokratischen planetarischen Zeitalter auflöst“. Das ist insofern richtig, als im zerfallenden Gebäude der Moderne, in dem Menschen in Tokio oder Los Angeles Atemprobleme haben, wenn sie an die frische Luft kommen, und der Zugriff auf das menschliche Genom nur ein weiterer Schritt zum vollautomatischen Subjekt ist, derartige Zuschreibungen zumindest teilweise obsolet sind. Dennoch bleiben letzte Zweifel an der politischen Ununterscheidbarkeit zwischen links und rechts, wie Hartmuth Becker in seinem Beitrag „Stresemanns Bismarck-Bild“ ausführt. Mit dem konstatierten Auslaufen abendländischer Formprinzipien steuern wir nämlich geradewegs in die staats- und rechtsfreie Gesellschaft.

Kontakt: Etappe, Postfach 21 01 23, 53156 Bonn. Das Einzelheft kostet 12 Euro, ein Abo für drei Ausgaben 35 Euro.

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