© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Sturmhart Siegbald
Pawlowsche Reflexe: Weil Eltern in Dresden ihrem Neugeborenen einen germanischen Vornamen gegeben haben, rastet die bunte Republik Deutschland aus
Thomas Paulwitz

Sturmhard Eisenkeil war einst ein gefeierter Gast in mehreren Fernsehsendungen. Der Oberst der Bundeswehr hatte dies vor allem seinem ausgefallenen Namen zu verdanken. Bei der Rudi-Carrell-Show begeisterte er als Überraschungsgast eine Kandidatin, deren Leidenschaft es war, in Telefonbüchern nach außergewöhnlichen Namen zu stöbern. Eisenkeil ging mit seinem Namen pragmatisch um: „Na, ick bin bei der Bundeswehr, was soll man mit dem Namen auch sonst machen?“ Sturmhard ist ein alter germanischer Name und bedeutet „stark im Kampf“ – wie schön für einen Soldaten.

Nun kam im Juni 2015 im Dresdner Diakonissenkrankenhaus ein neuer kleiner Sturmhart zur Welt, und die bunte Republik Deutschland rastete aus. Dazu trug auch ein Rechtschreibfehler bei: „Sturmhorst [!] Siegbald Torsten“ stand unter dem süßen Säuglingsbild, welches das Krankenhaus zusammen mit Bildern anderer Neugeborener veröffentlichte. Das rief sogleich die Blockwarte der Nation auf den Plan. Schnell ein Bildschirmfoto gemacht und über Twitter verbreitet: Die Bevölkerung steht auf, der Sturm der Empörung bricht los. Der Pöbel zerreißt sich das Maul über den Namen, und die Gaffer ergötzen sich und essen Popkorn.

Sturmhorst? Das Glöckchen für die Pawlowschen Anti-Nazi-Reflexe klingelt sofort Sturm. Schnell ist in den Kommentaren die Verbindung zum SA-Sturmführer Horst Wessel hergestellt. Dank Bild frißt sich in den Hirnen auch bald ein makelvoller Spitzname für den armen Jungen fest: „SS-Torsten“ (SS als Abkürzung der ersten beiden Vornamen). Das Stigma nimmt Konturen an. Selbstverständlich ist für viele bereits ausgemacht, daß die Eltern des Jungen, auch wenn sie keiner kennt, rechte Dumpfbacken sein müssen. Daß der Junge in Dresden zur Welt kommt, macht scheinbar alles klar. Dresden, das ist doch die Pegida-Stadt. An bissigen Kommentaren mangelt es somit nicht: „Wahrscheinlich ist sein Vater der berühmte Vollhorst, und die Eltern wollten mit der Tradition nicht brechen.“

Aber welcher Nazi hieß noch gleich mal „Sturmhorst“? Verzweifelt wird das Internet gewälzt. Schließlich stoßen findige Schreiberlinge auf den Schriftsteller Bernhard Hennen, der Romane über „Elfenritter“ schreibt. Wir erfahren, daß „Sturmhorst“ der Name eines Flaggschiffes der Adlerschiffe ist. Dieses Schiff sei zur Halbinsel Valloncour gesegelt, um Prinzessin Gishild aus einer Burg zu befreien. Nazis kommen in Hennens Phantasieromanen allerdings gar nicht vor. Das ficht die Politkorrekten nicht an. Macht nichts, dann waren eben die Nazi-Eltern des kleinen „Sturmhorsts“ nur zu doof, einen echten Nazi-Namen zu vergeben, da sind sich die meisten sicher.

Dem Krankenhaus ist ein Fehler unterlaufen

Das Krankenhaus wird von der plötzlichen Aufmerksamkeit überrumpelt. So etwas hat die Diakonissenanstalt noch nicht erlebt. Der Vorstand nimmt das Säuglingsbild aus dem Netz und sieht sich zu einer Stellungnahme veranlaßt: „Bei der Weitergabe des Namens ist leider ein Fehler unterlaufen. Der in den Medien kommunizierte Name ist falsch und wurde von den Eltern nie vorgesehen. Der Vorstand der Diakonissenanstalt Dresden bittet die Eltern für diesen Fehler, vor allem wegen der daraus resultierenden negativen Berichterstattung, in aller Form um Entschuldigung (…) Den Eltern ist es wichtig zu betonen, daß ihnen jegliches rechtsextremes Gedankengut fernliegt.“

Doch der Plan des Krankenhauses, den wahren Namen zu verheimlichen, geht nicht auf. Das Dresdner Standesamt vermeldet wenig später: „Das Kind wurde durch das Standesamt Dresden mit den Vornamen Sturmhart Siegbald Torsten beurkundet. Sturmhart ist ein eintragungsfähiger Vorname.“ Und, für viele kaum zu glauben: „Die Kindeseltern sind grundsätzlich bei der Wahl des Vornamens für ihr Kind frei in ihren Entscheidungen.“

Andere Dresdner Neugeborene tragen daher seltsame Namen wie „Mila Jolien“, „Käthe Coco“, „Fiona Lovisa“ und „Konrad Keramino“. Nach ihnen kräht kein Hahn. Wer wirklich unter den zahllosen Modenamen hervorstechen will, muß offenbar einen germanischen Namen vergeben. Und wer weiß, vielleicht heißt im Jahre 2038 der Siegschütze zum 3:2 für Deutschland im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft ja Sturmhart Müller?