© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Staatspropaganda aus dem Wurstkessel
Selbstinszenierung: Polit-Aktivisten legen Gräber für ertrunkene Flüchtlinge an
Fabian Schmidt-Ahmad

Der Kampf gegen die bürgerliche Gesellschaft ist zugleich ein Angriff auf ihr Kunst- und Kulturverständnis. Auflösen, zerstören, ihrem an der Antike geschulten Blick das Pissoir als Skulptur vorsetzen: das ist Dada, das ist Provokation, das ist inszenierte Geschmacklosigkeit. Das ist aber auch ein Prozeß, der nunmehr hundert Jahren andauert und ein Problem zeigt: Was ist, wenn das Wertefundament dieser bürgerlichen Gesellschaft erfolgreich zersetzt wurde? 

Was ist, wenn Dada selbst die Gesellschaft geworden ist? Die Darstellung des deutschen Soldaten mit Schweinsmaske, die ersten Dadaisten entfachten damit 1920 einen Skandal. Als die „Deutsche Friedensgesellschaft“ 2010 aufrief, den Tod deutscher Soldaten zu feiern und zu diesem Zweck mit Uniform und Schweinsmaske am Bundeswehr-Ehrenmal posierte – wer nahm davon noch Notiz? Längst hat die breite Masse den Anti-Werte-Kanon der Dadaisten übernommen.

Was bleibt dann noch übrig? Im Grunde genommen nur noch die Selbst-inszenierung im Protest, der aber gar kein Protest mehr ist – gegen wen sollte er sich richten? –, sondern ausschließlich eben der eigenen Inszenierung dient. Eine Kostprobe davon bot das „Zentrum für Politische Schönheit“, welches vergangenen Sonntag unter dem Motto „Die Toten kommen“ zu einem „Marsch der Entschlossenen“ durch das Berliner Regierungsviertel aufgerufen hatte. 

Offiziell will die Gruppe um den Aktionskünstler Philipp Ruch – Erkennungszeichen: schwarz verschmierte Gesichter – damit auf einen unwürdigen Umgang mit den Leichen derjenigen hinweisen, die bei dem Versuch umkamen, illegal nach Europa einzuwandern. Ruch, Jahrgang 1981, soll so etwas wie der neue Christoph Schlingensief sein. Auch die Begeisterungsstürme der taz-Chefredakteurin Ines Pohl über die „spektakuläre Aktion“ lassen wenig Gutes ahnen.

„Zynisch ist nicht dieses Projekt. Zynisch ist eine Gesellschaft, die buchstäblich über Leichen stolpern muß, um hoffentlich wahrzunehmen, daß die Flüchtlinge keine statistische Größe sind“, urteilt das linke Meinungsblatt über die Gruppe. Angeblich hat diese bereits eine Frau und einen alten Mann aus Syrien bei Berlin bestattet. „Es wird Europa in einen Einwanderungskontinenten zurückverwandeln!“ heißt es auf deren Seite im besten Dada-Deutsch.

Völliger Mangel an intellektueller Reflexion

„Es geht um die Sprengung der Abschottung des europäischen Mitgefühls.“ Vor allem ging es den rund 5.000 Teilnehmern erst einmal um eine Plattform der Selbstinszenierung. Auf die Beerdigungsstimmung wies einzig die dunkle Kleidung hin, wodurch der obligatorische Schwarze Block kurioserweise nur durch das ebenso obligatorische Geschrei zu erkennen war. Ansonsten strahlend gute Laune. Das bessere Deutschland war unter sich.

Und das ist wörtlich zu nehmen. Von allen Veranstaltungen im multikulturellen Berlin dürfte an diesem Sonntag die Spaß-Beerdigung wohl den geringsten Ausländeranteil gehabt haben. Ein Araber, der sich auf die Veranstaltung verirrt hatte, versuchte vergeblich seiner Begleitung zu erklären, warum jetzt für alle Moslems Ramadan ist. „Das stimmt nicht. Ich war vor zwei Jahren in Bangladesch, da war Ramadan viel später. Die feiern anders als ihr.“ 

Ein großes Happening, bei dem jeder mitmachen durfte. Zwei turtelnde Mädchen, die sich an die Spitze des Zuges setzten, trugen Mundschutzmasken. Passanten fragten nach dem Grund. Jede hatte eine andere Erklärung, tieftraurig und irgendwas mit Toten. „Eigentlich wollte ich etwas auf die Maske schreiben. Aber ich hätte sowieso nicht gewußt, was“, meinte die eine kichernd. Na ja, auf diversen Pressefotos sind sie verewigt, was natürlich der eigentliche Grund war.

Auch diejenigen mit den kreativsten Sperrholz-Särgen, Styropor-Grabsteinen oder pompösen Blumengestecken hatten gute Chancen, irgendwo als Fotomotiv abgelichtet zu werden. Auf der Wiese vor dem Reichstag angekommen, wurde diese flugs in einen „Friedhof der unbekannten Einwanderer“ verwandelt. Für die ganz Doofen mit Comic-Anleitung. Ansonsten: Ich mit Schaufel. Ich mit Grabstein. Ich mit empörtem Blick. Futterjäger für ihre Facebook-Seiten bei der Arbeit halt. 

Eine Geschäftigkeit, welche den Beteiligten effektiv über ihren völligen Mangel an intellektueller Reflexion hinweghilft. Nicht einer war hier, der Fragen stellte. Wenn Menschen jämmerlich wie Ratten ersaufen, wo ist der Rattenfänger, der sie mit seiner zuckersüßen Melodei ins Wasser gelockt hat? Denn die „militärische Abriegelung Europas“, die Ruch und seine Mitstreiter beklagen, wird es wohl nicht gewesen sein. Wer ist also der Täter, an dessen Händen Blut klebt?

Die böse Bundeskanzlerin? Die böse Bundesmarine? Die böse Polizei? Das Schweinesystem? Der faschistische Staat? Schlußendlich ist diese Frage völlig nebensächlich, Hauptsache der Beschuldigte taugt als Kulisse, vor dem man sich als aufrechter Aktivist, als Revolutionär der guten Sache präsentieren kann. „Refugees welcome“ prangte bei vielen auf der stolzgeschwellten Brust. Es geht um Gefühle, nicht um Erkenntnis oder gar Selbsterkenntnis.

Das mag verständlich sein. Wer möchte schon gern zugeben müssen, daß er moralisch gar nicht höher steht als diejenigen, die er nach Kräften beschimpft. Er ist kein besserer Mensch, er ist ein Dummkopf. Und eben diese Dummheit ist es, die den Aktivisten nun klagen läßt, man bestatte Opfer nicht in der würdigen Weise. Hektoliter von Blut in die taz-Redaktion ausgegossen, das wäre etwas Aufrüttelndes, zum Nachdenken. 

Doch selbst wenn im „Zentrum für Politische Schönheit“ der Blitzschlag der Erkenntnis einfahren sollte, soviel politischen Mut wird man dort vergebens suchen. Oder wie es schon im Dada-Manifest „Der Kunstlump“ heißt: „Der Künstler steht nie höher als sein Milieu und die Gesellschaft derjenigen, die ihn bejahen. Denn sein kleiner Kopf produziert nicht den Inhalt seiner Schöpfungen, sondern verarbeitet (wie ein Wurstkessel Fleisch) das Weltbild seines Publikums.“

In Wirklichkeit macht man doch nichts als Staatspropaganda mit Attitüde. Mit diesem Wurstkessel ist Dada aber an das Ende gekommen. Der Bürger ist tot. Es lebe sein infantiles Gebrabbel, das zu keiner politischen Idee, sondern nur noch zur Steigerung des eigenen Selbstwertgefühls dienen kann. Gerne auch mit Toten. Oder was sich sonst noch instrumentalisieren läßt, solange es nicht zur Selbsterkenntnis einlädt.