© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Schlafwandler am Werk
Romantrilogie: Der ungarische Schriftsteller Miklós Bánffy hat seine „Siebenbürgische Geschichte“ vollendet
Thorsten Hinz

Im Kielwasser des Weltkriegsjubiläums 2014 ist kürzlich der abschließende Band der Romantrilogie „Siebenbürgische Geschichte“ des ungarischen Schriftstellers Miklós Bánffy (1873–1950) erschienen. Das erste Buch, „Schrift in Flammen“, setzte 1895 ein, das zweite, „Verschwundene Schätze“, endete um 1910 (JF 3/14). Der letzte Band nun schließt mit dem Ausbruch des Krieges ab, dessen Ergebnis der Buchtitel vorwegnimmt: „In Stücke gerissen“. Das Opus bietet ein großartiges Panorama über die Agonie der habsburgischen Monarchie und fügt der Wiener und Prager eine Budapester Perspektive hinzu.

Der Autor entstammte der ungarischen Hocharistokratie. Er leitete in der k.u.k.-Zeit die Budapester Oper und war 1916 mit der Krönung Kaiser Karls zum letzten ungarischen König betraut. 1921/22 bemühte er sich als ungarischer Außenminister vergeblich um einen Ausgleich mit Rumänien, dem im Vertrag von Trianon Siebenbürgen zugesprochen worden war – wo sich übrigens die meisten Besitzungen Bánffys befanden.

Der Zerfall kündigte sich in mehreren Vorbeben an

In der Hauptfigur des jungen Adligen Bálint Abády hat er teilweise sein politisches Alter ego gezeichnet. Als Gutsbesitzer und Abgeordneter im Parlament in Budapest versucht er, Reformen anzustoßen und den Zerfall des Vielvölkerstaates aufzuhalten, der sich in mehreren Vorbeben ankündigt. Das erweist sich als Kampf gegen Windmühlen, dem er sich zunehmend resigniert, „ohne Freude und Hoffnung“ unterzieht. Sogar in seinem Wahlkreis und auf seinen siebenbürgischen Gütern scheitert er am Egoismus und an der Beschränktheit der Beteiligten, an der Macht der Gewohnheit und am zunehmenden Nationalismus.

In der Führung in Budapest sind, wie anderswo auch, Schlafwandler am Werk. Mit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 haben die Ungarn sich aus der habsburgischen Vormundschaft befreit, doch ihre Eliten vermögen mit der gewonnenen Macht nichts Konstruktives anzufangen. Ihre Politik erschöpft sich in sinnlosen Streitereien  und in Nadelstichen gegen die Regierung in Wien, ohne daß sie deren außenpolitische Folgen bedenken.

In einer Welt aus „Fiktionen, Selbstbetrug und Großtuerei“ lebend, taumelt die Gesellschaft auf den Abgrund zu. Neben dem subjektiven Versagen spiegelt sich darin auch die Tragik einer kleinen, sprachlich und ethnisch isolierten Nation, die jahrhundertelang allen Grund hatte, sich zwischen den deutschen, slawischen, romanischen und osmanischen Kulturkreisen eingezwängt zu fühlen, und zu politischer Reife nicht gelangen konnte.

Auch der Kampf des Protagonisten um persönliches Glück scheitert endgültig. 

Der dritte Band der Trilogie ist nur gut halb so umfangreich wie die beiden ersten. Eine Schwäche, die sich bereits im zweiten Buch angedeutet hatte, tritt hier noch deutlicher hervor. Die eigentliche Romanhandlung und die Figuren, die der Autor zunächst so kraftvoll geschildert hat, verblassen etwas vor dem Hintergrund der Parlamentsakte und Staatsaffären. Dennoch ist die Trilogie eine große literarische Leistung und für Leser in Deutschland eine lohnende Neuentdeckung.

Miklós Bánffy: In Stücke gerissen. Roman. Aus dem Ungarischen und mit einem Nachwort von Andreas Oplatka. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2015, gebunden, 399 Seiten, 26 Euro