© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Blick in die Medien
Muß Facebook schließen?
Tobias Dahlbrügge

Der jüngste Richterspruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte versetzt die Netzgemeinde in Aufregung: Betreiber von Internetforen sollen haften, wenn Nutzer beleidigende Kommentare schreiben. Müssen also Facebook und Youtube demnächst schließen?

Der Fall betraf das estnische Online-Portal Delfi. 2006 berichtete das Magazin über eine Fährgesellschaft, die angeblich öffentliche Eispassagen zerstörte, die von Esten im Winter als Abkürzung genutzt werden. Darauf entlud sich der Zorn auf das Fährunternehmen, es kam zu Beleidigungen und Drohungen.

Die Firma klagte und bekam recht. Delfi reagierte mit einer Klage gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit und unterlag nun. Die Richter verpflichten Betreiber von Internetseiten, durch angemessene Maßnahmen zu verhindern, daß Haß-Kommentare veröffentlicht werden. Was angemessen bedeutet, ist unklar. Kritiker befürchten einen massiven Angriff auf die Meinungsfreiheit und das Web 2.0.

Wer andere mit juristischem Ärger überziehen will, bräuchte nur genügend Trolle. 

Denn wenn das Beispiel Schule macht und jede Minderheit sich durch alles mögliche beleidigt fühlt, wird es für Seitenbetreiber kaum noch eine Möglichkeit geben, Kommentare zuzulassen. Damit würde die freie Kritik aus dem Internet verschwinden. Zumal sich ahnen läßt, welche Gruppen sich wohl zuerst „beleidigt“ fühlen würden.

Wer andere mit juristischem Ärger überziehen will, bräuchte nur genügend Trolle oder Pseudonyme, um gezielt Beleidigungen zu posten. Wer ganz schlau ist, beleidigt sich anonym selbst und kassiert ab. Man darf getrost annehmen, daß diese Zusammenhänge für die EU-Richter „Internet-Neuland“ sind.

Vorerst geben Juristen jedoch Entwarnung: Die Entscheidung beträfe nur den konkreten Fall und sei bei anderen Voraussetzungen nicht automatisch in jedem Mitgliedsland umzusetzen. Zudem entspreche das Urteil bereits der in Deutschland gängigen Rechtspraxis. Haß und Drohungen sind umgehend zu löschen; Delfi hatte sich damit ein halbes Jahr Zeit gelassen.