© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

War „Charlie Hebdo“ eine Kommandoaktion?
Terrorismus: Für Gerhard Wisnewski sind die Kouachi-Brüder unschuldig und die Toten nur Bauernopfer im Kampf der Kulturen
Ronald Gläser

Franck Brinsolaro war Personenschützer der französischen Polizei. Er hatte Einsätze unter anderem in Kabul und Sarajevo hinter sich und soll sogar als Leibwächter für den damaligen Geheimdienstchef seines Landes gearbeitet haben. Würde dieser Mann Schüsse im Nachbarhaus, im eigenen Hausflur ignorieren? Wenn er im Dienst ist bei einem Verlag, der bereits mehrere Anschläge über sich hat ergehen lassen müssen?

Merkwürdigerweise zog Franck Brinsolaro nicht einmal seine Waffe. Er starb mit zehn anderen Mitarbeitern in der Redaktion von Charlie Hebdo am 7. Januar. Die Schüsse, von denen mehrere Augenzeugen berichtet haben, hat der Bodyguard angeblich einfach ignoriert.

Nicht nur dieser Umstand wirft Fragen auf. Der ganze Überfall auf die linke Satirezeitschrift glich einer eiskalt geplanten Kommandoaktion. Die Täter waren Profis. Das zeigt die Art, wie sie sich bewegten und töteten. Wie die Flucht verlief, obwohl es im Umfeld von Polizisten nur so gewimmelt habe. 

Waren die Kouachis nur   nette Jungs von nebenan?

Gerhard Wisnewskis These ist die: Die beiden vermummten Mörder aus der Redaktion sind nicht identisch mit den Kouachi-Brüdern, die später in der Druckerei erschossen wurden. Die einzige Verbindung zwischen ihnen ist das erste Fluchtfahrzeug, in dem sie angeblich eine Flasche mit Fingerabdruck und einen Ausweis zurückgelassen haben. Ein Personaldokument eines Täters, der sich zuvor extra vermummt hat – das klingt nach „dümmer als die Polizei erlaubt“. Oder nach extra plazierten Beweisen.

Für die Kouachis spricht, daß nur einer von ihnen (Chérif) eine kriminelle Vergangenheit hatte, der andere (Saïd) war „sauber“. Wisnewski schildert die beiden als nette Jungs von nebenan. Das ist sicherlich der schwächste Punkt in dem Buch. Sie standen auf Flugverbotslisten der Amerikaner – Saïd soll sogar in einem Terrorcamp im Jemen gewesen sein. Das wird von Wisnewski als Information von US-Sicherheitsbehörden abgetan, denen grundsätzlich Mißtrauen entgegenzubringen sei („Ich persönlich würde jedem kleinen Bürger auf der Straße mehr trauen als irgendeiner Behörde“).

Einige Male blitzt im Text die These durch, die jüdische Familie Rothschild, die unter anderem zu den Eigentümern des Verlags gehört, könnte in den Fall verwickelt sein. Eine Vermutung, die bereits gleich nach dem Attentat im Netz verbreitet wurde. Es bleibt aber in „Die Wahrheit über das Attentat auf Charlie Hebdo“ bei solchen Andeutungen. 

Klar und nachvollziehbar sind hingegen die Beschuldigungen gegen Geheimdienste. Wisnewski listet auf, welche islamistischen Führerfiguren Kontakt zu westlichen Diensten hatten: Anwar al Awlaki etwa, der Al-Qaida-Chef („Al CIAda“) in Jemen, der die Kouachis beauftragt haben soll. Oder der Isis-Boß Abu Bakr Al-Bagdadi, der sein Netzwerk in Gefangenschaft also „unter US-Fittichen“ habe aufbauen können. Von Osama bin Laden ganz zu schweigen.

Wisnewski ist der Großmeister der Verschwörungstheorie. Er hat Bücher über den 11. September und den „Mord“ an Jörg Haider geschrieben und bringt regelmäßig ein Kompendium über Lügen in der Mainstreampresse heraus („Verheimlicht, vertuscht, vergessen“). Auch in diesem Buch schildert er die ganze Geschichte vom Standpunkt des hyperkritischen Beobachters, der alles hinterfragt, was in den Medien berichtet wird und überall eine Geheimdienstverschwörung wittert. 

Schwer zu glauben, daß er selbst die ganze Story so glaubt, wie er sie erzählt. Er blendet die Fakten aus, die nicht zu seiner These passen, und konzentriert sich auf seine eigene Annahme. Andererseits sind einige der Fragen, die er vorträgt, berechtigt. Dazu zählen die professionelle Vorgehensweise der vermummten Täter und die Tatsache, daß sie trotz vieler anwesender Polizisten und weiterer Sicherheitsmaßnahmen so gut fliehen konnten. Laut Wisnewski wurden sie gedoubelt.

Warum hat die Polizei die Telefonüberwachung der Kouachis beendet, wenn sie als heiße Terrorverdächtige gelten mußten? Wieso erschoß sich ein ermittelnder Polizist nach dem Attentat mit seiner Dienstwaffe? Warum durfte seine Mutter den Obduktionsbericht nicht einsehen? Weshalb wurde der mehrfach vorbestrafte Co-Attentäter, der Farbige Amédy Coulibaly, der später im jüdischen Supermarkt erschossen wurde, zuvor von der Justiz mit Samthandschuhen angefaßt und trotz Terrorverdacht immer wieder laufengelassen? Gab es eine geheime Übereinkunft, eine Zusammenarbeit mit Geheimdiensten?

Am Ende des Buches folgen zwei Kapitel über die Wurzeln des Kampfes der Kulturen und die „Wem nutzt es?“-Frage. „Die Attentäter haben allen Islamfeinden der Welt den größten Gefallen getan“, urteilt Wisnewski. Und auch Charlie Hebdo, die kurz vor dem Ruin stand, sei gerettet worden. Von François Hollande bis zu den Befürwortern eines stärkeren Überwachungsstaates zeigen die möglichen Verdächtigungen in alle denkbaren Himmelsrichtungen – außer in die Islamistenszene selbst.

Tablet bereithalten bei der Lektüre

Dieses Wisnewski-Buch ist besser als seine vorangegangenen. Es ist durchgängig bunt bebildert, mit vielen Skizzen, die den genauen Tatablauf verständlich machen. Auf seiner Webseite hat er Links zu den Videos zusammengestellt, die im Zusammenhang mit Charlie Hebdo entstanden sind. Dem Leser ist dringend zu raten, daß er das Tablet bei der Lektüre griffbereit hat, weil das Buch mit den Filmen besser zu verstehen ist. Es wird Zeit, daß der Kopp-Verlag solche Bücher als eBuch herausbringt und die entsprechenden Links gleich ins Manuskript einbaut.

Gerhard Wisnewski: Die Wahrheit über das Attentat auf Charlie Hebdo. Gründungsakt eines totalitären Europa. Kopp Verlag, Rottenburg 2015, gebunden, 136 Seiten, 14,95 Euro