© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

Die zerrissene Partei
AfD: In Essen ringen die Euro-Kritiker am Wochenende um die Einheit
Marcus Schmidt

Es geht ein Riß durch die AfD. Er zieht sich quer durch Fraktionen, Landes- und Kreisverbände. Er reicht von Erfurt, über Berlin bis nach Brüssel. Er trennt die Anhänger des „Weckrufs“ von dessen Gegnern. „Gehörst du zu uns oder zu den anderen“, fragen sich die Mitglieder.  Das Wir hat bei den Euro-Kritikern derzeit keine Konjunktur. 

Am Wochenende wird sich auf dem Bundesparteitag der AfD in Essen entscheiden, ob sich dieser Riß noch kitten läßt oder ob er zur Spaltung der Partei führt. Alles scheint möglich. Das krachende Scheitern ebenso wie die große Versöhnung. Vorhersagen traut sich in der Partei kaum noch jemand zu machen. Zu unübersichtlich ist die Lage, zu viele unangenehme Überraschungen haben die Parteimitglieder in den vergangenen Monaten erleben müssen. In einem sind sich alle einig: So wie es derzeit läuft, kann es nicht weitergehen.

Essen soll die Wende bringen. Seit Wochen schon rüsten sich die unterschiedlichen Lager für die Entscheidungsschlacht. Spätestens seit der Gründung des „Weckrufs 2015“ im Mai durch AfD-Chef Bernd Lucke und die Europaabgeordneten Ulrike Trebesius, Hans-Olaf Henkel, Joachim Starbatty und Bernd Kölmel sind die Fronten klar. Mehrfach haben Lucke und seine Co-Vorsitzende und Kontrahentin im Kampf um die Parteispitze, Frauke Petry, danach klargestellt, daß sie nicht mehr zusammenarbeiten können und wollen.

Mit dem Weckruf ist es Lucke gelungen, im Machtkampf mit Petry wieder die Offensive zu gewinnen. Nach dem Bremer Parteitag, den Lucke allzu voreilig als Sieg für sich gewertet hatte, war es Petry durch geschicktes Taktieren gelungen, Lucke in die Enge zu treiben.  Dieser sah seine Chancen auf dem für Mitte Juni geplanten Delegiertenparteitag in Kassel zunehmend schwinden. Erst die Absage des Delegierten- und die Einberufung eines Mitgliederparteitages brachten ihn zusammen mit der Gründung des Weckrufes wieder ins Spiel. Seit seiner Gründung Mitte Mai hat der Weckruf faktisch parallele Strukturen innerhalb der AfD aufgebaut. Den Verdacht, daß sich der Verein im Notfall rasch zu einer Partei umwandeln ließe, konnten die Weckruf-Befürworter dabei nie ganz ausräumen. In den vergangenen Wochen ist Lucke zudem Kreuz und quer durch die Republik gereist und hat auf Weckruf-Veranstaltungen versucht, seine Anhänger für den Parteitag zu mobilisieren. 

Im Internet kursieren mittlerweile mehrere Berichte und sogar Ton-Mitschnitte von solchen Treffen, die offenbar von Weckruf-Gegnern angefertigt wurden. Ziel der Veröffentlichungen ist vor allem, Lucke nachzuweisen, er plane die Spaltung der AfD. Zumindest belegen die bekannt gewordenen Details aus den Veranstaltungen den hohen Mobiliserungsgrad, den das Lucke-Lager mittlerweile erreicht hat. Die Weckruf-Gegner sind dagegen wesentlich heterogener organisiert. Erst Mitte der Woche starteten sie unter dem Motto „Gemeinsam statt einsam. Ja zur Alternative, Nein zum Weckruf!“ eine Kampagne, um dem Weckruf Paroli zu bieten. 

Zuvor hatte Lucke am Montag in Berlin seinen Kandidaten für das neue Amt des Generalsekretärs präsentiert und gleichzeitig Ulrike Trebesius als seine Wunschkandidatin für die in Essen zu wählende Doppelspitze präsentiert. Vor allem über den Kandidaten für das Amt des Generalsekretär, ein Lieblingsprojekt Luckes, war in den vergangenen Wochen ausgiebig spekuliert worden. Mit dem 32 Jahre alten Deutsch-Türken André Yorulmaz nominierte der AfD-Chef einen unbekannten Kreissprecher aus Nordrhein-Westfalen. Mit dem offen schwul lebenden Yorulmaz sendete Lucke ein Signal an den liberalen Flügel der Partei. Yorulmaz wiederum versuchte unter anderem mit dezidiert islamkritischen Äußerungen auch bei konservativen Mitgliedern für sich zu werben.

Doch ob es überhaupt zur Wahl eines Generalsekretärs kommen wird, ist ungewiß.  Das Amt ist in der neuen AfD-Satzung vorgesehen. Und diese wird auf dem Parteitag erneut  für Diskussionen sorgen. Denn das Bundesschiedsgericht hat der Partei vorgegeben, über die in Bremen beschlossene neue Satzung auf dem nächsten ordentlichen Parteitag erneut abzustimmen. In Essen ist dies nicht möglich. Dennoch sollen die Vorstandswahlen in Essen bereits nach der neuen Satzung erfolgen. Ein Streit über diese Frage scheint unausweichlich.

Dabei werden bereits die Dimensionen des Parteitages der Parteitagsregie alles abverlangen. Bis Anfang der Woche hatten sich 4.200 AfD-Mitglieder in der Berliner Bundesgeschäftsstelle angemeldet. Auch wenn angesichts der vorhergesagten sommerlichen Temperaturen über der 30-Grad-Marke einige Mitglieder in letzter Minute doch das Schwimmbad der Essener Grugahalle vorziehen dürften, wird die Veranstaltung dennoch einer der größten Parteitage in der Geschichte der Bundesrepublik werden. Für einen zügigen Verlauf stehen wie bei den vorherigen Parteitagen wieder elektronische Abstimmungsgeräte bereit, insgesamt 3.600. Kommen mehr Mitglieder, muß zeitraubend auf herkömmliche Art und Weise gewählt werden.

Ob am Ende des Parteitags die Fronten in der Partei tatsächlich geklärt sind, erscheint zweifelhaft. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Mitglieder anders als von den beiden Lagern erhofft einen „gemischten“ Vorstand wählen – mit einer Doppelspitze Lucke/Petry. Darauf scheinen sich die Kontrahenten bereits eingestellt zu haben. In den Tagen vor dem Parteitag deuteten beide an, sie würden „notfalls“ doch mit dem jeweiligen Konkurrenten zusammenarbeiten. Lucke und Petry hätten es dann in der Hand, den Riß durch die AfD zu kitten.



Chronik

6. Februar 2013

Gründung der AfD im hessischen Oberursel. 

14. April 2013

Erster Bundesparteitag in Berlin. Frauke Petry, Konrad Adam und Bernd Lucke werden zu gleichberechtigten Sprechern gewählt. 

22. September 2013

Die AfD verpaßt bei der Bundestagswahl mit 4,7 Prozent der Stimmen den Einzug in den Bundestag. 

25. Januar 2014

Auf ihrem Bundesparteitag in Aschaffenburg wählt die AfD ihre Kandidaten für die Europawahl.

22./23. März 2014

AfD-Chef Bernd Lucke scheitert auf dem Parteitag in Erfurt mit dem Versuch, eine neue Satzung mit einem alleinigen Parteivorsitzenden durchzusetzen.

25. Mai 2014

Bei der Europawahl erreicht die AfD 7,1 Prozent der Stimmen und zieht mit 7 Abgeordneten in das Europaparlament ein. 

31. August 2014

Bei der Landtagswahl in Sachsen erreicht die Partei 9,7 Prozent und stellt künftig 14 Abgeordnete im Landtag. 

14. September 2014

Die AfD kommt bei den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg auf 10,6 beziehungsweise  12,2 Prozent  und erhält jeweils 11 Sitze.

31. Januar/1. Februar 2015

Auf dem Bundesparteitag in Bremen gibt sich die AfD eine neue Satzung. Nach einer Übergangsphase mit einer Doppelspitze wird die Partei künftig von einem Vorsitzenden geführt.

15. Februar 2015

Auch bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg gelingt der AfD der Sprung über die Fünfprozenthürde. Sie erreicht 6,1 Prozent der Stimmen und stellt künftig 8 Abgeordnete. 

14. März 2015

Der Landesparteitag der AfD in Thüringen beschließt die Erfurter Resolution. Darin wird davor gewarnt, die Partei inhaltlich zu verengen und den nationalkonservativen Flügel aus der Partei zu drängen.

18. März 2015

Als Reaktion auf die Erfurter Resolution veröffentlichen die Europaabgeordneten Joachim Starbatty, Bernd Kölmel, Hans-Olaf Henkel und Ulrike Trebesius die Deutschland-Resolution. Darin wird unter anderem vor einer einseitigen Stärkung des „rechten Flügels“ gewarnt. 

10. Mai  2015

Mit 5,5 Prozent (4 Abgeordnete)zieht die AfD in die Bremer Bürgerschaft ein.

15. Mai 2015 

Das Bundesschiedsgericht der AfD kippt einen von Bernd Lucke unterstützten Mitgliederentscheid zur Ausrichtung der Partei.

19. Mai 2015

Gründung des Vereins „Weckruf 2015“

2. Juni 2015

Der Bundesvorstand sagt den für Mitte Juni in Kassel geplanten Parteitag ab. Zuvor hatte das Bundesschiedsgericht Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Delegiertenwahlen in einigen Landesverbänden geäußert.

22. Juni 2015

In einer Eilentscheidung erklärt das Schiedsgericht den Weckruf für satzungswidrig und fordert die Auflösung des Vereins. Zugleich ordnet das Gericht an, daß über die Bremer Satzung auf einem Parteitag erneut abgestimmt werden muß.

25. Juni 2015

Das Schiedsgericht entscheidet: Der Weckruf darf doch bleiben

29. Juni 2015

AfD-Chef Bernd Lucke präsentiert in Berlin André Yorulmaz als Kandidaten für das Amt des Generalsekretärs. 

4./5. Juli 2015 

Bundesparteitag der AfD in Essen.