© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

„Ich habe meinen Sohn nicht so erzogen“
Tunesien: Nach dem Terroranschlag verschärft die Regierung den Kampf gegen Islamisten / Sorge um Tourismusgeschäft
Marc Zoellner

Anfangs hielten sie ihn noch für einen Touristen, als Seifeddine Rezgui Yacoubi vergangenen Freitag gegen elf durch das seichte Wasser watete. Hunderte Badegäste aus aller Herren Länder waren an diesem Morgen bereits am Strand von Sousse im nordöstlichen Tunesien versammelt, um die afrikanische Sommersonne und das Meer zu genießen. Mit seinen kurzen schwarzen Shorts und dem ebenso schwarzen Hemd, die Füße in Sandalen geschlüpft, fiel er in der Menge der Badenden kaum auf. Mit den Leuten am Strand habe er noch gescherzt, erinnert sich ein Augenzeuge später. Doch dann zog er plötzlich eine Kalaschnikow aus seinem Sonnenschirm heraus, schoß auf die Gäste und tötete 38 von ihnen.

Breakdancer entpuppt sich als Massenmörder  

Seitdem steht Tunesien unter Schock. Besonders eine Frage beherrscht derzeit die Medien des Landes: Wie konnte es geschehen, daß aus einem harmlosen jungen Mann ohne Vorwarnung ein eiskalter Massenmörder wird? Denn Yacoubi ging es für tunesische Verhältnisse relativ gut. Seine Familie zählt zur heimischen Mittelschicht, er selbst studierte erfolgreich Luftfahrttechnik an der Universität von Kairouan, nur rund 50 Kilometer von Sousse entfernt. Er war ein leidenschaftlicher Breakdancer, spielte gern Fußball, war Fan von Real Madrid, trug lieber halblanges Haar anstelle eines Vollbarts und flanierte nach dem Freitagsgebet oft noch mit Freunden durch die Cafés seiner Stadt.

„Nur Gott weiß, was meinen Sohn zu dieser Tat gebracht hat. Ich habe meinen Sohn nicht so erzogen. Nicht dazu erzogen, daß er Menschen tötet“, berichtet auch Yacoubis Vater einem Journalistenteam der Tagesthemen erschüttert nach der Bluttat. „Irgendwelche Leute müssen meinen Sohn indoktriniert haben, daß er so etwas tut.“

Daß Yacoubi, der eine halbe Stunde nach seinem Amoklauf von Polizisten gestellt und erschossen werden konnte, seine Tat nicht allein geplant haben kann, gilt in Sicherheitskreisen als unbestritten. Schon kurz nach dem Terroranschlag berichteten Augenzeugen von einem zweiten Mann, dem offensichtlich die Flucht gelungen sei. Die diesbezüglichen Untersuchungen verliefen jedoch im Sande. Zwischenzeitlich galt sogar Yacoubis Vater als Verdächtiger, da dieser sich noch einen Tag zuvor mit seinem Sohn getroffen hatte. Es sei jedoch eine rein familiäre Zusammenkunft gewesen, verlauteten die Ermittler später, auf welcher lediglich über das Studium Yacoubis gesprochen worden sei. Auch das am Folgetag veröffentlichte Bekenntnis der radikalislamischen Terrororganisation Islamischer Staat, den Anschlag inszeniert zu haben, verwarf man auf höchster Ebene als Trittbrettfahrerei.

Möglicherweise aus politischen Gründen: Denn der Tourismussektor, Ziel des Anschlags Yacoubis, gilt als eine der tragenden Säulen der tunesischen Wirtschaft. Über sechs Millionen Reisende besuchen Tunesien jedes Jahr, etwa ein Drittel davon aus den beiden Nachbarländern Libyen und Algerien; Hunderttausende aber auch aus europäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien. Mittlerweile arbeiten rund 15 Prozent aller Tunesier in der Tourismusbranche. Viele weitere verdienen sich ihren Lebensunterhalt als Zulieferer dieser Kulturindustrie, als Taxifahrer, Souvenirverkäufer und Restaurantbetreiber.

Neben den eigentlichen Opfern des Anschlags trifft letzterer diese Tunesier besonders hart: Nur drei Monate waren vergangen, seit zwei bewaffnete Attentäter das Bardo-Museum unweit der Tuniser Innenstadt gestürmt und 24 Menschen ermordet hatten (JF 14/15). Umfangreiche Ermittlungen hoben damals eine größere Schläferzelle aus. Das Land schien beruhigt, der Tourismus konsolidierte sich. Nach dem Terrorakt von Sousse verlassen nun jedoch westliche Touristen scharenweise das Land. obwohl es nach wie vor keine aktuelle Reisewarnung für Tunesien gibt. Dennoch orderten die meisten großen Touristikunternehmen Sonderflüge, um stornowillige Kunden zu evakuieren. Die Umsätze der Hotels und Händler und mit diesen die wirtschaftliche Stabilität des Landes an sich drohen ins Bodenlose einzubrechen.

Angst vor weiteren blutigen Anschlägen

Der Amoklauf von Sousse sei „nur der Beginn einer haushohen Krise“, warnte auch der tunesische Reiseagenturenverband FTAV. Auf Drängen Kuwaits, welches ebenfalls vergangenen Freitag von einem Terroranschlag sunnitischer Extremisten auf eine schiitische Moschee betroffen war, rief die Arabische Liga ihre Mitglieder unterdessen zu einer Notfallsitzung ein, um die innerarabische Kooperation zur grenzüberschreitenden Terrorbekämpfung zu verbessern.

Auch Tunesien legt nun härtere Bandagen im Kampf gegen den Terror an: Die vorhandenen Parteien sollen auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft, rund 80 der 5.000 Moscheen des Landes geschlossen werden. Haß gegen Touristen und Nichtmuslime würde dort gepredigt, lautet die Begründung des Innenministeriums. Eine dieser nun auf der Verbotsliste stehenden Moscheen habe auch Yacoubi die letzten Monate über besucht und sich dort radikalisieren lassen. Unweit seiner Universität in Kairouan gelegen, dem einst blühenden viertwichtigsten Heiligtum des Islam, welches nach der Revolution gegen den damaligen Machthaber Zine el-Abidine Ben Ali von salafistischen Gruppierungen vereinnahmt wurde und unter Anwohnern abwertend nur noch das „tunesische Afghanistan“ genannt wird.