© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

„Freizügigkeit ohne Grenzen“
Hayek-Tage 2015: Kontroverse um Chefin Karen Horn / Neuwahl des Vorstands vertagt / Zuwanderungsdebatte offenbart politischen Riß
Lion Edler / Jörg Fischer

Roland Tichy wurde gerade mit der Hayek-Medaille ausgezeichnet, als er seine Sorge nicht mehr verbergen konnte. Die Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft müsse zur Einigkeit zurückkehren, findet der frühere Chef der Wirtschaftswoche und Leiter der Ludwig-Erhard-Stiftung. Schließlich gebe es „da draußen“ schon genug Verächter von Marktwirtschaft und Liberalismus.

Doch die Stimmung bei den Hayek-Tagen in Leipzig ist angespannt, weil die Gesellschaft über ihr Verständnis des Liberalismus streitet. Auslöser war ein Artikel der Vorsitzenden Karen Horn, die in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vor einer „rechten Flanke“ und einer „reaktionären Unterwanderung“ der liberalen Szene warnte. Personen, die sich selbst als „wertkonservative Liberale“ bezeichneten, würden Thilo Sarrazin applaudieren und mit der AfD gegen Multikulti wettern. Sie hätten zudem „dramatisch schlechte Manieren“ und neigten zur Pöbelei und zu Vorurteilen, die „haßerfüllt herausposaunt“ würden. Daraufhin forderten empörte Mitglieder der dem antitotalitären Wirtschaftsnobelpreisträger von Hayek verpflichteten Gesellschaft in einem Offenen Brief den Rücktritt ihrer Vorsitzenden.

„Politisch nicht korrekte Wissensgesellschaft“

Der „Reaktionär“ Erich Weede, der 2012 die Hayek-Medaille erhielt, widersprach Horn mit einem Beitrag in der JUNGEN FREIHEIT und vertrat die Auffassung, die frühere FAZ-Redakteurin sei „im linken Lager gelandet“ (JF 24/15). Bei der nichtöffentlichen Mitgliederversammlung in Leipzig ist es daher „hoch hergegangen“, berichteten Teilnehmer. Persönliche Angriffe und Rücktrittsforderungen kulminieren in einem Antrag auf Neuwahl des Vorstands, der jedoch aus formalen Gründen abgelehnt wird.

Ob Karen Horn allerdings bei der nächsten Vorstandswahl mit einer Mehrheit rechnen kann, scheint angesichts der Stimmung im Saal zweifelhaft. „Eine bisher ausgezeichnete, politisch nicht korrekte Wissensgesellschaft“ würde nun „gleichgeschaltet“, schimpft ein Mitglied. Horn-Verteidiger witterten einen „politischen Putsch“, Horn habe lediglich gewarnt, „daß man am rechten Rand vorsichtig sein muß“. 

Gegner und Befürworter von Horn warnten vor einer Spaltung der Hayek-Gesellschaft, doch die politische Spannbreite ist enorm: Linkslibertäre, die wie Fundi-Grüne eine komplette Abschaffung von Einwanderungshürden fordern, stehen neben Rechtsliberalen, die manchmal sogar mit der Identitären Bewegung sympathisieren. Eine Kluft, die sich auch in der Podiumsdiskussion über „Freizügigkeit ohne Grenzen“ zeigt.

Der Bonner Politologe Erich Weede vertrat die Auffassung, daß „Integration sein muß“, wenn eine „Massenzuwanderung“ eintritt. Dazu gehöre nicht nur die Beachtung von Gesetzen, sondern auch die Akzeptanz von „informellen Normen“. Je unterschiedlicher die Kultur des Herkunfts- und des Aufnahmelandes sei, um so schwieriger sei die Integration. Alexander Fink von der Uni Leipzig plädierte hingegen „für eine Reduzierung der Einwanderungsbarrieren bis hin zur Eliminierung von Einwanderungsbarrieren“. Er sei überrascht davon, daß Weede den Wohlfahrtsstaat als gegeben, die Einwanderungspolitik aber als veränderbar ansehe. Beides sei jedoch „verhandelbar“, betonte Fink. Weede replizierte darauf wiederum, daß die Zustimmung zum Sozialstaat in Umfragen „entsetzlich hoch ist“, während die Zustimmung zur Einwanderung deutlich geringer sei.

Sven Gerst, der derzeit am King’s College London promoviert, trat indessen noch radikaler für die Öffnung von Grenzen ein. Geschlossene Grenzen würden schließlich bedeuten, daß Zwang angewendet würde, um Personen daran zu hindern, miteinander „zu interagieren“, sagte der diesjährige Gewinner des Hayek-Essay-Wettbewerbs. Zuwanderer „bilden vielleicht ihre Parallelgesellschaften, aber sie versuchen nicht zu missionieren“. Die meisten hätten gar kein Interesse an einer Abhängigkeit vom Sozialstaat, behauptete der Master of Science in Philosophy, der dabei wohl seine Erfahrungen aus Taiwan und den USA unreflektiert auf Mitteleuropa übertrug. Ohnehin sei es ein „Strohmann-Argument“, daß offene Grenzen nicht mit Wohlfahrtsstaatlichkeit einhergehen dürften. Darüber hinaus dürfe man die Zuwanderung nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Kosten für den Staat betrachten, denn mit dieser Denkweise könne man auch die „Deportation“ von deutschen Hartz-IV-Empfängern rechtfertigen, so Gerst.

Auf polemische Fragen wird nicht geantwortet

Als das Publikum in die Diskussion in der „Alten Börse“ einbezogen wird, offenbart sich der politische Riß durch die Hayek-Gesellschaft erneut. So beklagt sich ein Zuhörer, daß sein „Blutdruck“ gestiegen sei, weil Weede zwischen dem westlichem und anderen Kulturkreisen unterschieden hatte. Eine solche „Zuspitzung“ sei „unzulässig“. Ein anderer vergleicht die Einwanderungspolitik mit einem Wohngebäude: Niemand habe ein Recht darauf, einen Mitbewohner daran zu hindern, daß dieser seine Putzfrau ins Haus lasse. Dabei sei es egal, ob die Putzfrau aus Leipzig oder aus Nigeria komme – und somit sei auch klar, wie man Zuwanderungsbarrieren moralisch zu bewerten habe.

Manche Zuhörer schlagen ganz andere Töne an. Ein Hayek-Mitglied fragt das Podium, ob der Islam „faschistisch“ wäre; ein anderer will vom Zuwanderungsbefürworter Gerst wissen, was denn die Indianer von der Zuwanderung gehalten hätten. Der Langzeitstudent aus Südwestdeutschland entgegnet, das sei eine „polemische Frage“, auf die er nicht antworten wolle. Karen Horn nickt zustimmend – was nicht überrascht, schließlich hat das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW), das „mehr Flüchtlinge für den deutschen Arbeitsmarkt“ fordert und dazu aufruft, „aktiv Menschen anzuwerben“, bis 2012 ihr Gehalt bezahlt.

Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft:  hayek.de

Foto: Umstrittene Hayek-Vorstandsvorsitzende Horn: Sorge um „die rechte Flanke der Liberalen“ und Warnung vor „reaktionärem“ Konservativismus