© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

„Grexit“ – oder doch nicht?
Griechenland, die EU, Rettungspakete und die drohende Pleite: Europäisches Recht und internationale Verflechtungen machen ein Euro-Aus unwahrscheinlich
Michael Paulwitz

Kommt er nun, der „Grexit“, oder bleibt er doch aus? Die internationalen und finanzindustriellen Verflechtungen machen das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro in den Augen der Regierungen und Institutionen zum unkalkulierbaren Risiko. Im Vertrauen darauf hat die links-rechte Syriza-Regierung in Athen die Ablehnung von Sanierungsauflagen im Gegenzug für eine weitere Alimentierung durch die Geldgeber auf die Spitze getrieben. 

Eine Ablehnung des handstreichartig anberaumten Plebiszits über das Angebot der Gläubiger wäre nach Ansicht der meisten Beobachter gleichbedeutend mit dem zwingenden Abschied Athens aus der Gemeinschaftswährung. Doch weder die griechische Regierung noch die europäischen und internationalen Spieler haben ihre Trickkiste schon bis zum Boden ausgeleert.

Liquiditätsversorgung durch die Europäische Zentralbank

Tatsächlich ist es laut EU-Recht praktisch unmöglich, ein Mitgliedsland aus der Währungsunion auszuschließen. Die Verträge binden alle EU-Staaten an den Euro, soweit sie nicht wie Großbritannien oder Dänemark Ausnahmen vereinbart haben, und erklären die Eurounion für „unwiderruflich“. Athen hat bereits angekündigt, sich gegen einen möglichen Rauswurf mit allen rechtlichen Mitteln wehren zu wollen – angesichts der zusätzlich zu erwartenden Flut von Privatklagen mit guter Aussicht auf Erfolg.

Ein erzwungener „Grexit“ wäre in jedem Fall ein langwieriger Prozeß. Nach Ansicht einiger Europarechtler wäre der einzig gangbare Weg zum Euro-Ausstieg der EU-Austritt Griechenlands; eine Option, die kein Akteur auf der Agenda hat, am wenigsten die griechische Regierung selbst. Bliebe die Möglichkeit eines erzwungenen freiwilligen de-facto-Euro-Austritts Athens durch Abschneiden der Liquiditätsversorgung durch die Europäische Zentralbank (EZB), die Athen über kurz oder lang zur Wiedereinführung einer eigenen Währung zwingen würde, um Zahlungsverpflichtungen gegenüber den eigenen Bürgern überhaupt erfüllen zu können.

Anders als im Fall Zyperns hat die EZB diese Karte erst spät ins Spiel gebracht. Währenddessen wurden durch fragwürdige Notfall-Liquiditätshilfen (ELA) für die griechischen Banken weitere Ausfallrisiken in Höhe von rund hundert Milliarden Euro aufgehäuft – zusätzlich zu den Target-II-Salden in etwa derselben Höhe. Beide Forderungen müßten im „Grexit“-Fall abgeschrieben werden, wofür die Mitglieds-Notenbanken und damit letztlich die Euro-Staaten, also ihre Bürger und Steuerzahler, geradestehen müßten.

Daß die EZB den „Grexit“ erzwingt, ist indes nicht nur deswegen unwahrscheinlich. Sowohl EZB-Präsident Mario Draghi als auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sorgen sich in erster Linie um die weiteren Pleitekandidaten der Eurozone, allen voran Italien, Spanien, aber auch Frankreich, die nach einem griechischen Euro-Aus als nächste ins Visier gerieten. Wird der griechische Staatsbankrott offen erklärt, müssen die übrigen Euro-Staaten für ausgefallene Hilfskredite, wertlos gewordene griechische Staatsanleihen in den Portfolios ihrer Notenbanken und der EZB und die übrigen Forderungsausfälle haften. Daß Berlin beschwichtigt, durch die Zuspitzung der Griechenland-Krise kämen keine neuen Forderungen auf die Deutschen zu ist Augenwischerei. Geld, das für Jahrzehnte verliehen wurde, ist faktisch auch verloren, und gestreckte Forderungsausfälle sind Forderungsausfälle. Auf die Staatsbank KfW kommt ebenfalls beträchtlicher Rekapitalisierungsbedarf zu. Zwar erhielt Athen keine direkten Hilfen aus dem zweiten Rettungsschirm ESM; dieser müßte aber beansprucht werden, wenn weitere kriselnde Länder ihre Hilfskredite abschreiben und Verpflichtungen aus dem ersten Rettungsschirm EFSF einlösen müßten.

Wallstreet-Sorgen und Tücken der Geostrategie

Das erklärt, warum nicht nur Juncker, sondern auch Kanzlerin Merkel weiter „Gesprächsbereitschaft“ signalisieren und insbesondere Juncker nach wie vor mit Kompromißvorschlägen lockt, um den Staatsbankrott Griechenlands mit neuen Transferzahlungen und „Hilfspaketen“ zu kaschieren und das Land im Euro zu halten. Merkels Einschränkung ihres jüngst wiederholten Dogmas „Scheitert der Euro, dann scheitert Euro­pa“, der Euro werde an einem Austritt Griechenlands nicht „scheitern“, bezieht sich darauf, daß die Risiken inzwischen von den „privaten Gläubigern“, den Banken also, zu den Steuerzahlern umverteilt wurden, Bankenzusammenbrüche im Fall des Falles mithin also weniger wahrscheinlich geworden sind. Hätte Griechenland seinen Staatsbankrott sofort vor fünf Jahren erklärt und wäre aus dem Euro ausgeschieden, könnte es in der Tat, wie vom scheidenden Ifo-Chef Hans-Werner Sinn vorgerechnet, nach einer längeren Durststrecke mit eigener, der Wettbewerbsfähigkeit angemessener Währung wieder auf dem Weg nach oben sein, und die Deutschen stünden nicht mit rund tausend Euro pro Kopf der Bevölkerung im Risiko. Mit jeder neuen Kreditmilliarde und jedem zusätzlichen Haftungsrisiko für die öffentlichen Haushalte ist dieses Szenario schwieriger und schmerzhafter geworden.

Hinzu kommt, daß noch nicht jeder Privatinvestor sorgenfrei ist. US-Hedgefonds bangen um über zehn Milliarden Euro, mit denen sie in griechischen Anleihen spekulierten. Das ist der zweite Grund, warum auch US-Präsident Barack Obama vehement Druck für einen Euro-Verbleib ausübt. Der erste Grund ist, daß Griechenland um jeden Preis in Nato und EU gehalten werden soll, um eine Annäherung an den wiederentdeckten Rivalen Rußland zu verhindern.

Der wahrscheinlichste Weg ist daher, daß selbst nach dem Referendum ein weiterer fauler Kompromiß zur Fortsetzung der Euro-Mitgliedschaft gefunden wird, etwa mit verdeckten Schuldenschnitten zu Lasten der Steuerzahler oder monetärer Staatsfinanzierung durch Anleihenkäufe. Das Euro-System wäre damit final zur Transferunion mit einem Weichgeld nach französisch-italienischer Vorstellung transformiert – mit der Alimentierung Griechenlands als ressourcenverzehrender Hauptaufgabe.