© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

Historischen Spuren folgen
Wo „Marschall Vorwärts“ General wurde: Ergänzend zum Waterloo-Gedenken hält das pfälzische Kirrweiler die Erinnerung an den preußischen Haudegen Blücher wach
Martin Schmidt

Die Schlacht bei Waterloo, bei der sich am 18. Juni vor zwei Jahrhunderten das Schicksal Europas entschied, weckt viele Assoziationen. „Sein Waterloo erleben“ als geflügeltes Wort für eine totale Niederlage ist bis heute Bestandteil unserer Umgangssprache. Mit Wellingtons überliefertem Stoßseufzer „Ich wollt’, es würde Nacht oder die Preußen kämen“ kann dagegen kaum mehr jemand etwas anfangen.

Noch vor einem halben Jahrhundert und erst recht zu Zeiten des deutschen Kaiserreiches war dieser Ausspruch dagegen Allgemeingut, angefangen bei Schulkindern. Ähnliches gilt für das geflügelte Wort „er/sie geht ran wie Blücher“, wenn man jemandem eine stürmische Vorgehensweise nach dem Muster der verwegenen Reiterattacken dieses preußischen Husarenführers nachsagen wollte. Als heldenhafte Identifikationsperson war der „Marschall Vorwärts“ durchweg positiv besetzt, zumal er als außergewöhnlich volkstümlich galt. Zahlreiche Aphorismen aus seinem Mund nährten in den folgenden Jahrzehnten diesen Ruf ebenso wie Gedichte und Lieder beispielsweise von Goethe, Rückert oder Ernst Moritz Arndt.

Im Deutschland von heute wirken solche nationalen Mythen in vielerlei Hinsicht weit weg. Doch geschichtliche Jahrestage wie jener zur Schlacht von Waterloo bieten immer auch die Möglichkeit, als Ankerplatz zur Vergegenwärtigung von Restbeständen kollektiver Erinnerung zu wirken oder gar neues Geschichtsbewußtsein zu stiften.

Im pfälzischen Kirrweiler wurde in den Tagen des großen Jubiläums weniger die Erinnerung an die legendäre Schlacht und das dramatische Ende des „Kaisers der Franzosen“ beleuchtet, vielmehr richtete sich das Augenmerk dort auf seinen preußischen Gegenspieler Gebhard Leberecht von Blücher, Fürst von Wahlstatt (1742–1819). Dieser hatte nämlich eben in jenem Ort, der im 18. Jahrhundert als befestigte Sommerresidenz und Verwaltungssitz (Oberamt) der Fürstbischöfe von Speyer von überregionaler Bedeutung war, am 28. Mai 1794 ein Gefecht gegen Teile der französischen Rheinarmee gewonnen. 15 französische Offiziere und 400 Soldaten fielen, 400 wurden gefangenengenommen; die Verluste der Preußen sollen bei insgesamt fünfzig Toten und Verwundeten gelegen haben.

An der Seite von Scharnhorst und Gneisenau

Dieser Blitzangriff während des Ersten Koalitionskrieges stellte für Blücher eine wichtige Etappe auf dem Weg zu seiner leidenschaftlichen Teilhabe an den anti-napoleonischen Befreiungskriegen an der Seite der preußischen Heeresreformer Scharnhorst und Gneisenau dar, die ihm 1813 mit der Erhebung zum Generalfeldmarschall höchste militärische Ehren brachte. Denn dank des Sieges bei Kirrweiler wurde der Oberst zum Generalmajor und Kommandeur des 8. Husarenregiments („Blücher-Husaren“) befördert.

Aus aktuellem Anlaß lud die Gemeinde Kirrweiler zu einem Symposium unter dem Titel „Blücher – ein Held Europas“ ein, das mit einem „Geschichtsdinner“ unter dem Motto „Die Schlacht von Waterloo mit Messer und Gabel“ begann und kulinarische Vorlieben der einstigen Gegner Napoleon, Wellington und Blücher harmonisch zu vereinen suchte.

Auf Initiative des örtlichen Heimat- und Kulturvereins wurde außerdem vom 20. Juni bis zum Monatsende im historischen Dorfgemeinschaftshaus „Edelhof“ ein Playmobil-Diorama des begeisterten Sammlers Sascha Wolf aufgestellt. Auf einer Fläche von fünf mal drei Metern bildete dieses ebenso detailgetreu wie liebevoll die seinerzeitige Festung und das Gefecht von Kirrweiler nach. Mehrheitlich verwendete der 42jährige gelernte Graphiker und passionierte Militärhistoriker Wolf handelsübliche Playmobilware und setzte diese zu seinem Schlachtenbild mit zahllosen, nicht selten zum Schmunzeln anregenden Einzelheiten zusammen, die gerade auch Kinder und Jugendliche begeisterte. In manchen Fällen nahm er jedoch auch aufwendige Bearbeitungen der Figuren vor und verlieh so beispielsweise dem Uniformrock des Husarenoffiziers Blücher ein wirklichkeitsnahes Aussehen.

Während bei dem vom Heimat- und Kulturverein in Auftrag gegebenen Playmobil-Diorama noch unklar ist, ob es der Bevölkerung auf Dauer zur Besichtigung bereitgestellt werden kann, lädt ein erst vor wenigen Jahren eingerichteter fünf Kilometer langer „Blücher-Rundwanderweg“ auch weiterhin zur historischen Spurenlese ein. Diese beginnt und endet im Ort selbst und führt an zehn Schautafeln entlang durch die umliegenden Weinberge, wobei sich herrliche Ausblicke auf den Pfälzerwald eröffnen.

Die Region atmet Geschichte

Die gut gemachten Tafeln erzählen geschichtskundig vom Leben und Wirken Blüchers, dem Gefecht bei Kirrweiler sowie der einstigen Bedeutung des heute eher beschaulichen Pfälzer Wein- und Ferienortes. Ganz allgemein atmet diese Region Geschichte: Man kann sich hier auf eine Zeitreise in die Glanzzeiten des ersten Reiches der Deutschen nach Speyer oder auf die Burg Trifels nach Annweiler begeben, die national-freiheitlichen Bestrebungen von 1832 im zum Greifen nahen Hambacher Schloß studieren oder die noch frischen Narben des Westwalls an der Grenze zum Elsaß erkunden.

Die Machart der Tafeln in Kirrweiler zeugt vom Stolz auf die historische Größe Blüchers und dessen lokale Bezüge. Im Faltblatt des „Vereins Südliche Weinstraße“ zum Rundweg heißt es: „Ohne Blüchers Wirken und Zutun wäre die Geschichte Europas heute eine andere, wäre womöglich auch die Pfalz kein deutsches, sondern französisches Grenzland. Wäre Blücher nicht zum Helden der Befreiungskriege geworden, hätte er nicht (zusammen mit Wellington) Napoleon bei Waterloo vernichtend und endgültig geschlagen, wir wären nicht, was wir heute sind …“

Weitere Informationen: Südliche Weinstraße Maikammer e.V., Büro für Tourismus, Johannes-Damm-Str. 11, 67487 Maikammer. Telefon 0 63 21 / 95 27 68, E-Mail: info-maikammer@maikammer.de

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