© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

Vom Graffiti beeinflußt
Enfant terrible der New Yorker Kunstszene: Die Ausstellung „Gegen den Strich“ in der Münchner Hypo-Kunsthalle würdigt den US-Künstler Keith Haring
Felix Dirsch

Seit dreißig Jahren veranstaltet die Hypo-Kulturstiftung in ihrer in unmittelbarer Nähe der Münchner Innenstadt gelegenen Kunsthalle zumeist vielbesuchte Ausstellungen. Mittlerweile ist die stattliche Zahl hundert erreicht. Nach der Würdigung der Rokoko-Kunst vor einigen Monaten, die München und die weitere Umgebung bis heute stark prägt, ist derzeit mit einer Schau zu einem der radikalsten Vertreter der Gegenwartskunst, Keith Haring, eine Art individualistisch-modernes Kontrastprogramm angesagt.

Haring (1958–1990) spielte in der einschlägigen New Yorker Szene der achtziger Jahre eine maßgebliche Rolle und erlangte schnell weltweite Bekanntheit. In dieser Dekade regierte Ronald Reagan die USA, der sich mit seiner Administration vorzüglich als Feindbild all jener eignete, die als Gutmenschen für eine bessere Welt kämpften. Gegen staatlicherseits propagierte Werte (Familie, Patriotismus und Religion) regte sich Widerstand.

Haring, der bereits früh seine Graffiti-Könnerschaft unter Beweis stellte, witterte Verrat an der Freiheit des einzelnen und wollte wachrütteln. Bereits im ersten Raum, nachdem am Eingang die Vita des Nonkonformisten vorgestellt wird, findet der Besucher dafür ein Beispiel, das heute freilich kein so hohes Provokationspotential mehr haben dürfte wie vor über drei Jahrzehnten: Ein großformatiges Bild zeigt eine stattliche Zahl von Penissen, die in verschiedene Richtungen weisen. Dieses Motiv verwundert nicht, wenn man die Biographie des Künstlers betrachtet. Haring sah in der eigenen homosexuellen Veranlagung einen wichtigen Teil seiner Identität – und das in einer Zeit, in der ein solches öffentliches Bekenntnis selbst unter Progressiven noch nicht die Regel war.

Der genuine Stil Harings ist unstrittig. Dennoch sind Einflüsse der CoBrA-Gruppe und von Roy Lichtenstein nicht zu übersehen. Die Artefakte des Frühverstorbenen sind auch für jene, deren Steckenpferd nicht die Gegenwartskunst ist, angenehm zu betrachten. Das liegt vor allem an ihren klaren Formen und leuchtenden Farben. Ein weiteres Ziel von Harings Schaffen kommt der Verbreitung seiner Kunst ebenfalls entgegen. Er will eine verständliche Bildersprache kreieren.

Zu den unsterblichen Motiven gehört der Hund, der durch das Loch im Körper einer der Figuren springt. Eines der großformatigen Gemälde will auf diese Weise die Betroffenheit verdeutlichen, die sich einstellte, als die Ermordung John Lennons bekannt wurde.

Auffallend ist, daß Haring vielen seiner Bilder keinen Titel gibt. Die Intention liegt auf der Hand: Der Betrachter soll nicht durch Vorgaben in seiner eigenen Deutung beeinflußt werden.

Die Ausstellung ist gegliedert in die Arbeitsfelder des Protagonisten. So thematisierte er in zum Teil apokalyptischen Darstellungen die wachsende Kriegsgefahr, die Umweltkatastrophe, weiterhin beabsichtigte er, auf die Ausgrenzung von Minderheiten mit Nachdruck hinzuweisen. Besonders verachtete er das südafrikanische Apartheidsystem. Eindrucksvoll ist in diesem Kontext ein großformatiges Bild, auf dem sich ein schwarzer Mann von seinen Fesseln befreit und eine helle Krone empfängt.

Im Vorfeld der großen Demonstration gegen die weltweite Aufrüstung 1982 im New Yorker Central Park ließ er auf eigene Kosten viele seiner Bilder verteilen. Ausdruck der Angst vor atomarer Verseuchung ist ein Baby, das von Strahlen umgeben ist. Zudem zeigt die Ausstellung jene Werke, mit denen er in der ersten Hälfte der achtziger Jahre Popularität erreichte. In der New Yorker U-Bahn gingen täglich unzählige Menschen an seinen weißen Zeichnungen auf schwarzem Grund vorbei. Bald sprach sich deren Raritätscharakter herum und immer mehr von ihnen verschwanden. Folglich stellte Haring seine diesbezüglichen Aktivitäten ein. 

Weitere Themen, mit denen er sich beschäftigte, sind der Kapitalismus, aber auch der religiöse Sektor. Letzteren lehnte der aus protestantischem Milieu stammende Künstler nicht rundherum ab, betonte aber die Möglichkeit des Mißbrauchs des an und für sich guten Wurzelbodens.

Die Motive Harings werden gegen Lebensende immer düsterer. Auf einem dreiteiligen Selbstporträt droht ein Krokodil den mit Brille und charakteristischen gekräuselten Haaren dargestellten Mann zu fressen. Etliche seiner Partner sind zu diesem Zeitpunkt bereits an einer anfangs rätselhaften Krankheit, dem „Schwulenkrebs“, gestorben. Er verschonte auch den offen promiskuitiv lebenden Aktivisten nicht, der sich bereits früh gegen Aids engagierte. In einer seiner letzten Darstellungen taucht ein Bild aus seiner Kindheit auf. Er ließ sein Leben Revue passieren.

Die Retrospektive zum 25. Todestag des unvergessenen Künstlers ist auch dann empfehlenswert, wenn man übertriebener Gesinnungsethik kritisch gegenübersteht.


Die Haring-Ausstellung „Gegen den Strich“ ist bis zum 30. August in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München täglich von 10 bis 20 Uhr zu sehen. Der Katalog (Prestel-Verlag) mit 256 Seiten und 275 Abbildungen kostet im Museum 29 Euro. Telefon: 089 / 22 44 12

 www.kunsthalle-muc.de