© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

Knapp daneben
Briefkastenfirmen gehört die Zukunft
Karl Heinzen

In den Niederlanden haben Arbeitnehmer seit dem 1. Juli einen gesetzlichen Anspruch darauf, ihrem Beruf von zu Hause aus nachzugehen. Will ein Unternehmen Beschäftigte dazu verpflichten, einen Schreibtisch in der Betriebsstätte zu nutzen, muß es sich dafür nun gute Gründe einfallen lassen. Bei klassischen Bürojobs dürfte ihm dies schwerfallen. Sämtliche Daten, die ein Angestellter für die Arbeit benötigt, können ihm in Netzwerken oder Clouds überall zugänglich gemacht werden. Dank moderner Informations- und Kommunikationstechnologie ist er permanent erreichbar. Anstatt in sterilen Besprechungsräumen bei muffigem Kaffee mit Vorgesetzten, Kollegen oder Kunden persönlich zusammenzukommen, kann er es sich daheim gemütlich machen und mit ihnen entspannt in Videokonferenzen plaudern.

Die Deutschen halten lieber an der archaischen        Trennung von Privatsphäre und Berufsleben fest.

Das neue Gesetz bereitet den Niederländern kein Kopfzerbrechen, da bei ihnen sowieso schon jeder dritte Beschäftigte im Homeoffice tätig ist. Die Deutschen hingegen halten, innovationsfeindlich wie sie sind, lieber an der archaischen Trennung von Privatsphäre und Berufsleben fest, die aus dem vordigitalen Zeitalter stammt. An der Bereitschaft, sich auf neue Arbeitsmodelle einzulassen, mangelt es vor allem den Managern, die ihren niederen Instinkten den Vorzug vor der betriebswirtschaftlichen Vernunft geben. In vielen Branchen gehört Briefkastenfirmen die Zukunft, die von einer virtuellen Zentrale aus die Heimarbeit ihrer weltweit verstreuten Beschäftigten koordinieren. Für diese Unternehmen ist die Standortfrage nur noch eine steuerliche, und sie können sich ihre Angestellten auf dem globalen Arbeitsmarkt aussuchen. Im Gegenzug können Erwerbstätige überall auf der Welt anheuern, ohne pendeln oder umziehen zu müssen.

Mit deutschen Chefs ist so etwas aber nicht zu machen. Sie sind statusfixierte Narzißten und wollen in einem repräsentativen Ambiente residieren, in dem sie Tag für Tag devote Untergebene drangsalieren können. Doch die Erniedrigten dürfen sich trösten: Der globale Wettbewerb wird es nicht mehr zulassen, daß Nieten in Nadelstreifen ihr Ego auf Kosten der Investoren ausleben.