© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Merkel ist gescheitert
Ende einer Schmierenkomödie: Nach dem Referendum in Griechenland ist der Grexit die einzige Lösung
Bruno Bandulet

Im Grunde müssen wir dankbar dafür sein, daß Alexis Tsipras das Referendum veranstaltet hat und daß die Griechen am vergangenen Sonntag mit Nein gestimmt haben. Nicht etwa, weil seitdem klar wäre, was die Mehrheit des griechischen Volkes eigentlich will – dafür ist die Realitätsverweigerung der Hellenen zu ausgeprägt, und dafür war die Fragestellung zu unbestimmt. Auch nicht, weil die eindrückliche Stärkung der innenpolitischen Position von Tsipras einen Ausweg aus der Katastrophe aufzeigen würde – die Chance ist gleich Null, daß Marxisten und „krawattenlose Volksverführer“ (Neue Zürcher Zeitung) das notleidende Land modernisieren und reformieren könnten. Marxismus und Sozialismus waren immer ausnahmslos ein Rezept für Verarmung und Substanzverzehr. 

Der positive Effekt der Volksabstimmung besteht vielmehr darin, daß der Austritt aus der Eurozone definitiv näher gerückt ist und daß eine fünfjährige Rettungspolitik offensichtlich so kläglich gescheitert ist, daß sich ihre künftige Anwendung auf andere Krisenländer praktisch von selbst verbietet. Selbstverständlich wäre es billiger und für die Griechen besser gewesen, im Frühjahr 2010, als das Land vor der Pleite stand, den Stecker zu ziehen, anstatt den Weg der Insolvenzverschleppung zu gehen.

 Die Summen, die seitdem nahezu wirkungslos verbrannt wurden, sind wahrhaft obszön. Alles in allem flossen bis zum März 2015 netto 325,4 Milliarden Euro in diese angebliche Rettung, mehr als der deutsche Bundeshaushalt. Davon gingen nach einer Berechnung des Münchner Ifo-Instituts je ein Drittel in die Tilgung von Auslandsschulden (hauptsächlich zugunsten ausländischer Banken), in die Vermögensanlagen griechischer Bürger im Ausland (in die Kapitalflucht) und in die Finanzierung der griechischen Leistungsbilanzdefizite, womit es den Griechen ermöglicht wurde, mehr zu konsumieren als sie erwirtschafteten. Damit wurde keine Zeit gewonnen, sondern Zeit verspielt. Die Kredite ersparten es der herrschenden Klasse, grundlegende Reformen des Systems anzupacken. Trotz, aber auch wegen der Finanzhilfen brachen Industrieproduktion und Bruttoinlandsprodukt um mehr als 25 Prozent ein, während sich die Arbeitslosigkeit auf 26 Prozent mehr als verdoppelte. 

Jetzt stehen zwei Frauen vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik: Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, und Angela Merkel, die vermeintlich mächtigste Frau Europas. Lagarde, weil sie den Mitgliedern des IWF erklären muß, warum ihr Fonds mit 25 Milliarden Dollar den größten Kredit in seiner siebzigjährigen Geschichte leichtfertig und satzungswidrig vergeben hat – sie weiß, daß ihre Wiederwahl für eine zweite Amtsperiode auf dem Spiel steht. Und Merkel, weil sie ihr Versprechen vom 16. September 2010 gebrochen hat, es werde „mit Deutschland“ keine Verlängerung des damaligen ersten Rettungspaketes geben. Die Prognose des Hamburger Magazins Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe, daß Merkels Kanzlerschaft am Euro scheitern könnte, ist überzogen, aber nicht völlig unvorstellbar.

Ihr Mantra „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ unterminierte von Anfang an ihre Verhandlungsposition gegenüber Athen. So konnte der griechische Schuldner Schwäche in Stärke verwandeln. Und der Satz enthält drei Fiktionen: er identifiziert die EU mit Europa und den Euro mit der EU, und er unterstellt grundlos, daß mit einem Austritt des griechischen Leichtgewichtes die gesamte Eurozone auseinanderfallen müßte. Ob ihr 19 oder 18 Mitglieder angehören, ist unerheblich.

Es kursieren andere Märchen. Zum Beispiel jenes, daß Griechenland einen Marshallplan brauche. Den hat es schon in Serie bekommen. Ganz abgesehen von den bis zu fünf Milliarden Euro, die jährlich von Brüssel ohnehin überwiesen werden, entsprechen die erwähnten Finanzhilfen seit 2010, bezogen auf das jeweilige Bruttoinlandsprodukt, sage und schreibe 36 deutschen Marshallplan-Hilfen. Frei erfunden ist auch die Behauptung, daß eine Rückkehr zur Drachme Griechenland in den Ruin treiben würde.

Seit dem Zweiten Weltkrieg sind rund 70 Länder in Konkurs gegangen und haben mit oder ohne Währungsumstellung abgewertet. Sowohl eine Studie des Ifo-Instituts von 2012 als auch eine solche von Oxford Economics 2015 konnten nachweisen, daß in fast allen Fällen schon nach ein oder zwei schwierigen Jahren der Wirtschaftsaufschwung einsetzte. 

Verständlich, daß es Lagarde und Merkel und den Politikern in Berlin, die mitverantwortlich sind, schwerfällt, das Scheitern ihrer Politik einzugestehen. Sie wollen ihr Gesicht wahren. Vielleicht folgen auf das Referendum neue monatelange Verhandlungen und eine Fortsetzung des schwer erträglichen Schreckens ohne Ende. Vielleicht wird noch einmal gutes Geld schlechtem hinterhergeworfen – der IWF spricht schon von 50 Milliarden. Bis dann der Grexit doch als das erkannt wird, was er von Anfang an war: alternativlos, wenn man unvernünftige Alternativen ausschließt.

Zugleich eröffnet sich die Chance, das europäische Projekt endlich vom Kopf auf die Füße zu stellen: nämlich die Neuerfindung der EU als Staatenbund, der das irrwitzige Vorhaben beendet, die Souveränität seiner Mitglieder eindampfen zu wollen, ohne eine europäische Souveränität an deren Stelle setzen zu können.  In eine solche reformierte EU würde auch Großbritannien wieder passen. Der Brexit, der Austritt Britanniens, würde die EU im Kern treffen. Der Grexit wäre nur ein Betriebsunfall, genauer: eine Erleichterung für alle und das Ende einer Schmierenkomödie. 



Dr. Bruno Bandulet ist Publizist und Herausgeber des DeutschlandBriefs (erscheint in eigentümlich frei). Als Journalist war er unter anderem bei der Welt tätig.