© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Teuer oder noch teurer?
Eurokrise: Nach der ersten Empörung über das Referendum der Griechen ist es mittlerweile in Berlin recht leise geworden
Paul Rosen

Die harschen Worte aus Berlin nach dem griechischen Referendum sind so schnell verflogen wie die Gewitter, die am vergangenen Sonntag derart heftig über Deutschland tobten, daß manch einer schon an den griechischen Götterkönig Zeus dachte, der der Sage nach Blitze zu schleudern pflegte. Nach dem ersten Schock über das angeblich europafeindliche Votum der Griechen wurde schnell deutlich, daß es um mehr geht als die Rettung des kleinen Staates an der südöstlichen Flanke Europas mit einem dritten Hilfspaket. Die zuletzt auf rund hundert Köpfe angewachsene Gruppe der Rettungskritiker in der Unionsfraktion blieb erstaunlich leise, wenn man von den bekannten Stimmen absieht. 

Ein Schuldenschnitt         darf nur nicht so heißen

Tangiert werden nämlich auch das deutsch-französische Verhältnis und die transatlantischen Beziehungen. Die US-Regierung übt Druck auf Deutschland und die anderen großen Euro-Länder aus, den Griechen weiter beizustehen. Washington fürchtet eine Hinwendung Athens zu Rußland, dessen Flotte schließlich im Hafen von Piräus ankern könnte. Paris wiederum hat kein Interesse, ein Exempel an den Griechen zu statuieren. Denn Frankreich könnte angesichts seiner stark wachsenden Staatsverschuldung und Dauerwirtschaftskrise eines der nächsten Länder sein, das Hilfe braucht. 

In diesem Sinne war der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert zu verstehen, der im Auftrag von Kanzlerin Angela Merkel am Montag die „besonders enge und gute Abstimmung“ zwischen Deutschland und Frankreich lobte. 

Auch ein Ausspruch des französischen Finanzministers Michel Sapin ist so zu interpretieren: „Es wird keine Lösung gefunden werden können, wenn es sie nicht zwischen Angela Merkel und François Hollande gibt.“ Daß die Lösung für die Griechen erträglich sein soll, machte der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron mit einem historischen Vergleich deutlich. Macron warnte vor einem neuen Versailler Vertrag mit unzumutbaren Bedingungen für Griechenland. Eindringlich formulierte auch Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem, das Ziel sei, Griechenland in der Eurozone zu halten. Er widersprach damit dem SPD-Vorsitzenden und Vizekanzler Sigmar Gabriel, der dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras vorwarf, mit dem Referendum „die letzten Brücken eingerissen“ zu haben. Gabriel war zu vorlaut, in seiner SPD überwiegt wie bei Grünen und Linken die Ansicht, man müsse auf jeden Fall weiter verhandeln. 

Eine mögliche „Lösung“ ist schnell skizziert: Der Fall Griechenland darf die nationalen europäischen Haushalte nicht direkt belasten, und ein Schuldenschnitt darf nicht so heißen. Vermutlich soll die Operation über die Europäische Zentralbank (EZB) und/oder einen der Rettungsfonds erfolgen. Verluste könnten sich in den Bilanzen der EZB und der Deutschen Bundesbank zeitweilig verstecken lassen, ohne daß sie im Etat von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sofort kassenwirksam werden würden. Die drohenden Einnahmeverluste von 2,5 Milliarden Euro durch den wegfallenden Bundesbank-Gewinn könnte Schäuble verkraften. 

Schon vor dem Hintergrund der geopolitischen und europäischen Bedeutung des Konkursfalles blieben viele Kritiker stumm. Innenpolitisch spielt außerdem eine Rolle, daß das Eingeständnis des Scheiterns der Rettungsaktionen für Athen und ein schnelles Ausscheiden des Landes aus der Währungsunion allein auf das Konto der Bundeskanzlerin gebucht würde. Rund 90 Milliarden deutscher Steuergelder wären endgültig verloren, Merkel schwer beschädigt. „Es wäre das Eingeständnis eines präzedenzlosen Scheiterns“, stellte die Neue Zürcher Zeitung zu Merkel fest. 

Mit einer „Lame Duck“ (lahmen Ente) als Spitzenkandidatin können CDU/CSU jedoch nicht in den Wahlkampf ziehen. Schon titelte der Spiegel: „Scheitert der Euro – scheitert Merkels Kanzlerschaft.“ Gleichwertige Alternativen zu Merkel sind nicht in Sicht. Außerdem: Die Umfragen zeigen die Union stabil bei 40 Prozent; die eurokritische Alternative für Deutschland (AfD) wird nicht mehr als ernsthafte Bedrohung wie noch bei der Europawahl angesehen. 

Einer der prominentesten Kritiker des Rettungskurses, Wolfgang Bosbach (CDU), setzt Hoffnungen auf leichtere Verhandlungen nach dem Rücktritt des griechischen Finanzministers Giannis Varoufakis: „Das würde vermutlich die Verhandlungen aufgrund seines bisherigen Auftretens erleichtern.“ Insgesamt sieht Bosbach jedoch schwarz: „Es gibt nur noch die Wahl zwischen teuer und noch teurer.“ 

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nannte Varoufakis einen „Geisterfahrer“, und der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Hans-Peter Friedrich erklärte: „Die Griechen haben sich gegen Reformen und damit gegen den Euro entschieden.“ Der Obmann im Bundestags-Finanzausschuß, Hans Michelbach (CSU), warnte vor „faulen Kompromissen“, und der bayerische Finanzminister Markus Söder hält den Grexit „für den fairsten und ehrlichsten Weg“.

Der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch hat als einer der wenigen erkannt, wo der Hase im Pfeffer liegt. Der Rettungsschirm-Kritiker sagte, die EZB sei gefragt, ihre „illegale Staatsfinanzierung“ zu beenden. Angesichts der Bemühungen zur Forstsetzung der Gespräche mit Griechenland stellte Willsch fest, es könne nicht sein, „daß der Schuldner den Gläubiger beschimpft und wir nicht die Selbstachtung aufbringen, einfach zur Tagesordnung überzugehen“. So wie Willsch denken viele Unionsabgeordnete, sagen das jedoch nicht öffentlich. Und abstimmen müssen sie derzeit auch noch nicht. FDP-Chef Christian Lindner forderte einen „Neustart für die Eurozone“ – ohne Griechenland. 

Nach der ersten Aufregung wird in der Unionsfraktion davor gewarnt, das Referendum zu ernst zu nehmen. Schließlich hätten die Dänen (1992), die Iren (2001), die Niederländer (2005) und die Franzosen (2005) gegen Europa gestimmt. Der Integrationsprozeß wurde trotzdem nicht aufgehalten.