© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Mit Humor gegen Extremisten
Verfassungsschutz: Eine Veranstaltung in Hannover lotet die Grenzen im „Kampf gegen Rechts“ aus
Christian Vollradt

Der Verfassungsschutz hatte geladen – und die Antifa kam. Zumindest bis vor die Tür. Ganz unaufdringlich reichte ein dunkel gekleideter junger Mann den Besuchern des Anzeiger- Hochhauses in Hannover sein Flugblatt. Überschrift: „Verfassungsschutz abschaffen!“ Klar, daß Gastgeberin Maren Brandenburger, niedersächsische Verfassungsschutzpräsidentin, dieser Forderung eher reserviert gegenüberstand. „Wie weit darf das Engagement gegen Rechtsextremismus gehen?“ hatte ihre Behörde in der Einladung gefragt und zum „Diskurs mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft“ geladen. 

Denn, das belegen nicht nur die Statistiken zur politisch motivierten Gewalt, so friedlich und manierlich wie oben beschrieben, verläuft „antifaschistischer“ Protest nicht immer. Im Gegenteil. Deswegen über die Grenzen der Auseinandersetzung zu diskutieren und darüber, wann kritisches Verhalten gegenüber Staat und Gesellschaft in Linksextremismus umschlägt, erscheint daher geboten (und viel zu selten praktiziert). 

Klaus Schroeder, Professor an der Freien Universität in Berlin und Autor einer wegweisenden Studie zum Linksextremismus (JF 11/15), meinte in seiner Eingangsstellungnahme, aus Sicht der Antifa sei die Abschaffung des Verfassungsschutzes durchaus sinnvoll: Sie wolle sich schließlich an dessen Stelle setzen. Aber, so fragt Schroeder: „Wo kommen wir hin, wenn diese Leute sich anmaßen zu entscheiden, wer demonstrieren darf und wer nicht?“ So richtig und wichtig es sei, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren, heilige der Zweck eben nicht die Mittel.

Dem schlossen sich die meisten auf dem Podium an. Dierk Borstel etwa machte deutlich: Die Grenze zieht der Rechtsstaat. „Mein Lackmustest ist die Frage: gelten Menschenrechte auch für Nazis?“, so der an der Fachhochschule Dortmund lehrende Politikwissenschaftler. Wer dies verneine, habe die Grenze des Rechtsstaats überschritten. Borstel plädierte dementsprechend auch klar gegen das sogenannte „Outing“ von Rechtsextremisten durch Antifa-Gruppen. Wer Schüler oder Studenten in der Schule oder an der Uni als Neonazis öffentlich anprangert, negiere deren Grundrecht auf Bildung. Mit Blick auf einen konkreten Fall in Dortmund meinte Borstel: „Auch ein landesweit bekannter Rechtsextremist, der Hartz IV bezieht, sollte ungehindert in einer Ausgabestelle der Tafel sein Gemüse bekommen können.“ 

Auch Hans-Gerd Jaschke von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht betonte in seinem Statement die Unteilbarkeit der Grundrechte. Aufgabe der Zivilgesellschaft sei es in erster Linie, eine Deradikalisierung der Extremisten anzustreben. Eine staatliche Stigmatisierung von Mitläufern als Extremisten – auch beispielsweise von Leuten, die sich an Aktionen der Antifa beteiligen – sei seiner Meinung nach kontraproduktiv und führe nur zu Verfestigungen. Kritischer zum Verfassungsschutz und deutlich toleranter gegenüber der Antifa äußerte sich auf dem Podium Sebastian Wertmüller, Geschäftsführer der Gewerkschaft Verdi in Südost-Niedersachsen. 

„Unterwandern Sie die Antifa!“ 

Im Kampf gegen Rechtsextremismus hätten staatliche Stellen reihenweise versagt, Stichwort NSU. Antifaschismus bedeute für ihn, „gegen Nazis etwas zu tun, das ist unser Grundverständnis und eine gute demokratische Tradition“, so Wertmüller, der häufig Anmelder von Demonstrationen „gegen Rechts“ war. Demnach sei ihm auch nicht ganz klar, ob er die Runde als „Fachmann oder Teil des Problems“ ergänze. 

Immerhin reizte Wertmüller die anderen häufiger zum Widerspruch. „Was ermächtigt Sie, Leute teilweise aufgrund vager Denunziationen bloßzustellen?“, warf ihm Klaus Schroeder entgegen; nicht ohne auf die Parallelen zwischen antifaschistischem „Nazi-Outing“ und den Zersetzungsstrategien der DDR-Staatssicherheit zu verweisen. Auch Borstel demontierte in der Debatte manchen Mythos. Rechtsextreme Netzwerke auszuwerten sei keine Kunst, wenn Antifa-Leute einen Neonazi verprügelten und ihm das Handy klauten. Daß dann sogar Kollegen aus der Wissenschaft auf diese Art gewonnene Erkenntnisse nutzten, sei höchst bedenklich. Im Kampf gegen Rechtsextremismus sei bisweilen mehr Phantasie gefragt, Humor beispielsweise. Borstel plädierte auch dafür, eine NPD-Demo ruhig mal zu ignorieren. „Über Gegendemonstrationen freuen die sich ja geradezu.“ 

Sein Kollege Schroeder stellte dagegen fest, die beste Strategie gegen den Linksextremismus sei es, „wenn eine radikale, nicht-gewaltbereite Linke ihm das Wasser abgräbt“. Augenzwinkernd appellierte er am Schluß in Richtung Publikum: „Unterwandern Sie die Antifa!“