© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

„Es gibt im Vorstand weiterhin sehr viel Liberalität“
Angeblicher Rechtsruck: Der neue AfD-Chef Jörg Meuthen über inhaltliche Kontinuität, rote Linien und die Trauer über den angekündigten Austritt von Joachim Starbatty
Dieter Stein

Herr Meuthen, seit dem Parteitag am Wochenende hat es zahlreiche Parteiaustritte gegeben, darunter die Europaabgeordneten Bernd Kölmel und Joachim Starbatty. Wie bewerten Sie das? 

Meuthen: Das können Sie sich nur schwer vorstellen, das ist für mich ein sehr emotionaler Vorgang. Ich bin darüber sehr traurig. Gerade was den Austritt von Starbatty anbelangt. Und ich hoffe, daß sich da noch etwas machen läßt. Ich schätze gerade Starbatty über die Maßen und fühle mich mit ihm regelrecht freundschaftlich verbunden. Sein Austritt würde mich sehr betrüben. Das gilt auch für andere, aber für ihn in ganz besonderem Maße.

Der Vorwurf derjenigen, die jetzt ausgetreten sind, lautet vielfach, die Partei habe sich durch den neuen Bundesvorstand deutlich nach rechts verschoben. Stimmt dieser Vorwurf?

Meuthen: Ich sehe das anders. Wir können mit der Konstellation, die wir jetzt im Vorstand haben, sehr wohl Kurs halten. Und das wollen wir auch. Ich weiß mich da völlig einig mit Frauke Petry, Alexander Gauland und Beatrix von Storch, um nur drei zu nennen. Aber ich bin auch permanent mit anderen Vorstandsmitgliedern im Gespräch. Unsere Zielsetzung ist, inhaltlich genauso weiterzuarbeiten wie bisher. Die AfD hat politische Leitlinien, die ganz klare Abgrenzungen in radikale Richtungen vornehmen. Diese Leitlinien gelten unverändert, an denen wird nicht gerüttelt. Zudem wird die Programmarbeit, die das Eigentliche ist, was wir in diesem Jahr zu leisten haben, genauso fortgesetzt, wie wir sie begonnen haben. Mit den Bundesfachausschüssen, mit der Arbeit der Bundesprogrammkommission. Sie wird in einen Programmparteitag münden, bei dem die Mitglieder darüber abstimmen. Daran wird sich überhaupt nichts ändern, und das ist das Maßgebliche. Unsere Kritiker schielen jetzt auf einige wenige Personen und sagen, diese sind der deutliche Beweis dafür, daß sich in der AfD nun ein krasser Rechtsruck vollzöge. Aber ich sehe im Vorstand weiterhin wirklich sehr viel Liberalität. Wenn ich mir etwa Beatrix von Storch und Alice Weidel anschaue, dann sind das Menschen, die wie ich aus dem wirtschaftsliberalen Denken kommen. Ich glaube daher, es wird uns gelingen, den Kurs zu halten.  

Haben Sie selbst etwas wie rote Linien, bei deren Überschreiten Sie sagen würden: Das ist nicht mehr meine Partei?

Meuthen: Klar. Aber es ist die Frage, wo man die rote Linie zieht. Ich ziehe sie sicherlich für mich etwas weiter als etwa Bernd Lucke das getan hat. Aber wenn es in Richtung nationalistische Positionen geht oder in Richtung einer ausländerfeindlichen Ausrichtung, dann wäre das mit mir nicht zu machen. Dann würde ich für mich Konsequenzen ziehen. Ich bin mir aber sehr sicher, daß diese Gefahr nicht droht, weil die ganz große Mehrheit in der Partei  solche radikalen Positionen nicht vertritt. Ich will gar nicht ausschließen, daß sich vereinzelt Parteimitglieder finden lassen, die sich auch mal im Ton vergreifen und die das vielleicht sogar so meinen, aber die werden sich in der AfD nicht durchsetzen. 





Jörg Meuthen, 1961 in Essen geboren, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Kehl. Vergangenen Sonnabend wurde er zum zweiten AfD-Sprecher neben Frauke Petry gewählt. Meuthen ist verheiratet und hat fünf Kinder.

 

 

weitere Interview-Partner der JF