© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Bei einem Grexit droht kein Beben an der Wallstreet
Investitionschancen
Thomas Kirchner

Nach dem Nein der Griechen im Referendum gaben die Börsen in Europa kräftig nach. Gewonnen haben ausgerechnet Bundesanleihen, obwohl Deutschland jetzt potentiell mit 94 Milliarden mehr in der Kreide steht, die Bonität des Bundes also schlechter ist als zuvor. Auf den ersten Blick läßt der plötzliche Kursverfall Parallelen zur Pleite von Lehman Brothers 2008 befürchten.

Doch beim genaueren Hinsehen ist es diesmal anders. Ein wichtiges Element, durch das lokale Phänomene zu Finanzkrisen werden, fehlt heute. Es gibt keinen Mechanismus, durch den sich der Zahlungsausfall Griechenlands durch das Finanzsystem schneeballartig propagieren kann. Zu Zeiten von Lehman waren US-Hypotheken in Tranchen gestückelt und zu Wertpapieren verpackt worden, die dann, etwa von öffentlichen deutschen Landesbanken, in Vehikeln außerhalb der Bilanzen geparkt wurden. Letztendlich blickte niemand mehr durch, wo überall Risiken versteckt waren.

Diesmal ist es anders. Die Risiken liegen bei den diversen staatlichen Rettungsprogrammen, der deutschen KfW und der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie in den Targetsalden. Auch wenn die Summen enorm sind, ist dennoch klar, wo die Verluste anfallen werden. Privatbanken haben schon lange keine griechischen Staatsanleihen mehr, sie müssen also ihre Kreditvergabe an den Privatsektor als Folge der Griechenlandpleite nicht einschränken. Ein Vertrauensverlust in das Finanzsystem droht also nicht. Hedgefonds sollen insgesamt etwa zehn Milliarden in Griechenland investiert haben, doch im Vergleich zu den zwei Billionen, die in Hedgefonds investiert sind, ist dies nur ein Randposten. Dazu kommt, daß die EZB lautstark angekündigt hat, alles zu tun, um den Euro am Leben zu halten. Solche Maßnahmen werden zwar nicht gebraucht, weil eben so gut wie keine Verluste im Finanzsystem anfallen werden, aber es hilft trotzdem, Vertrauen zu erhalten.

Unsicherheit führt immer zu Kursrückgängen. Die Frage ist, ob man eine schnelle Erholung nach der Panikattacke erwarten kann, oder ob die Bewertung von Firmen langfristig niedriger ausfallen muß. Im Falle der Griechenlandkrise ist klar, daß ein wirtschaftlich peripheres Land Unternehmensbewertungen nicht fundamental ändert. Risikofreudige Anleger werden in den Kurskapriolen günstige Einstiegsmöglichkeiten finden. In Griechenland selbst werden sich nach einem Grexit gute Investitionschancen für exportorientierte Firmen bieten, wie in den Neunzigern nach der Asienkrise.

Und noch einen Unterschied zu Lehman Brothers gibt es im Griechenlandchaos: Die Gläubiger der New Yorker Investmentbank bekamen bisher mehr als ein Viertel ihrer Forderungen zurück, und es könnte zum Schluß sogar ein Drittel werden. Bei Griechenland dürften zukünftige Zahlungen, sollte es je welche geben, näher bei Null liegen.