© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Sublimer Kulturimperialismus
Kunstschaffen: Entsorgung der deutschen Musiktradition
(ob)

Auch das Konzertpublikum des 21. Jahrhunderts mag sich mit den „Neutönern“, von Schönberg und Krenek bis zu Stockhausen und Cage, nur widerstrebend befreunden. Deshalb können deren Kompositionen regelmäßig nur in Verbindung mit Stücken aus dem klassischen Repertoire zur Aufführung gelangen. Eine üble Praxis, den Musikgeschmack zu steuern, die sich aber harmlos gegenüber dem ausnimmt, was Gerhard Frodl über seit Jahren zu beobachtende Anstrengungen berichtet, die deutsche Musiktradition der „Furie des Verschwindens“ zu überlassen, um endlich auch auf diesem Sektor „im Westen anzukommen“ (Etappe, 22/2015). Klassik-Sender, Konzertveranstalter, Musikkritiker und Buchautoren arbeiteten daran, das vormalige „deutsche Weltreich der Musik“ als eine Spielart des „sublimen Kulturimperialismus zu durchschauen“ und die ideologische Funktion des angeblich darin verborgenen „Führer- und Geniekults“ aufzudecken. Diese Deutung suggeriere, eine identifizierbare „deutsche“ Musik sei fiktiver Natur und habe es nie gegeben. Sie sei vielmehr ein ideologisch motiviertes Konstrukt des „nationalistischen“ 19. Jahrhunderts, das auf „völkischem Reinheitsdenken“ basiere. Deshalb werde inzwischen in weiten Teilen des „Kritiker-Commonwealth“ die Bezeichnung „deutsche Musik“ nur noch als „abwertende Floskel“ verwendet.