© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Dorn im Auge
Christian Dorn

Das schwul-lesbische Stadtfest am Nollendorfplatz wirbt mit dem Motiv zweier sich küssender Frauen, von denen eine ein Kopftuch trägt. Sofort hagelt es Kritik von politisch korrekter Seite, weil dies „stereotypisierend“, angeblich ohne Rücksprache mit den Betroffenen erfolgt sei. Der moralisierenden Klage der migrantischen Lesbenberatung Berlins LesMigraS hat sich das Magazin Siegessäule angeschlossen. Dabei wäre eine Welt, die keine anderen Probleme hat, nun wirklich zu beneiden. Die SPD verkündet an ihrem Stand: „Das Queer entscheidet.“ Immerhin spricht der SPD-Aufkleber Klartext und nennt die eigenen Adressaten „Schrille Minderheit“. Die FDP ist selbstironisch, ihr Stand firmiert als „Homo-Lobby“ und begrüßt die Besucher mit dem Slogan: „You are leaving the heteronormative sector!“


Das Rogate-Kloster der Kirchengemeinde St. Michael zu Berlin wirbt dagegen mit dem Spruch: „Bibel verstehen bewahrt vor Homophobie – Jesus ruft zur Liebe auf.“ Ein junges Paar schlendert vorbei, er zu ihr: „Komisch, in meiner Bibel steht was anderes.“ Eine lesbische Bekannte zeigt mir obdessen ein witziges Foto aus ihrer Community: Es zeigt einen schwulen Aktivisten mit einer Schrifttafel, darauf etwa folgende Botschaft: Homosexualität ist unnatürlich – wie das Buch, in dem Schlangen und Esel sprechen, Tote wieder lebendig werden etc.


Vielleicht würde Jesus heute die Gewerkschaften ansprechen, um die Kinder zu ihm kommen zu lassen. Die nämlich halten auf dem Stadtfest GEW-Luftballons mit dem Motto: „Cool / mein Lehrer ist schwul.“ Aber Coolness gibt es auch im Flüchtlingsdrama. Ein Mann neben dem Israel-Stand, wo sich der eigene Name auf hebräisch – geprägt auf einer Anstecknadel – mitnehmen läßt, schwärmt gegenüber den Umstehenden von einem Handwerker am Rand von Berlin, der „echt nachhaltig“ wirtschafte: „Tatsächlich macht der aus alten Flüchtlingsbooten richtige Möbel – das ist echt cool.“


Auf der CSD-Parade in Berlin wird der Beschluß des Obersten Gerichts in den USA gefeiert, der die Schwulen-Ehe abgesegnet hat. Als der Zug auf die Siegessäule zuläuft, wo einst dem noch ungekrönten Messias Obama Hunderttausende Berliner andächtig lauschten, fällt mir auf, daß einige der besten Partylieder zu diesem Anlaß fehlen, etwa „Could You Be Loved“ oder „One Love“. Das ist wohl kein Zufall, wenngleich die typische Rastafari-Farbvielfalt der Regenbogen-Flagge ähnelt. Die Reggae-Legende Bob Marley hätte vermutlich gefragt: „Is this Love?“