© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Der Masse auf die Sprünge helfen
Krieg an der Wand: Zwei bemerkenswerte Bildbände dokumentieren Propagandaplakate aus dem Ersten Weltkrieg
Karlheinz Weißmann

War der Erste Weltkrieg der erste moderne Propagandakrieg im Vollsinn, dann war das Plakat seine Hauptwaffe. Nachdem sich am Ende des 19. Jahrhunderts die bildgebenden Verfahren in der Drucktechnik so weit entwickelt hatten, daß sie auch für massenhafte Vervielfältigung in Frage kamen, standen der freien Gestaltung keine Hindernisse mehr im Weg. Für die Warenreklame war das zuerst verstanden worden, dann griff die Tendenz auch auf die politische Reklame über. Der Begriff wirkt heute ungewohnt, trifft die Sache aber. Denn faktisch gelten für die Werbung hier wie dort dieselben Regeln: Irritieren, Manipulieren, Mobilisieren. Und die kriegführenden Mächte nutzten die Möglichkeiten, die sich ihnen boten. Während der Film noch in den Kinderschuhen steckte und die älteren Propagandamittel – etwa Flugblatt, Presseartikel, Broschüren und Bücher – optimiert und um neue – etwa Bildpostkarte, Briefmarke – ergänzt wurden, trat das Plakat ins Zentrum der Anstrengungen. 

Die Männer für den Kriegsdienst mobilisieren

Vom Klebezettel bis zum häuserwandfüllenden Format gab es jede denkbare Variante, Plakate mit traditioneller Ikonographie und solche, deren Gestaltung avantgardistisch wirkte, die, die die eigene Anstrengung heroisierten, Mitleid für die Opfer weckten oder gegen den barbarischen Feind hetzten, in erster Linie Motive, die sich an Männer wandten, um sie zur Meldung oder zum Durchhalten zu bringen, aber auch solche, die den ungewohnten Einsatz der Frauen thematisierten oder selbst die Kinder in die Heimatfront einbezogen.

Dokumentiert wurden die Plakate des Ersten Weltkriegs schon häufig. In fast jedem Land, das sich am zurückliegenden Gedenkjahr „1914–2014“ beteiligte, fanden neue Präsentationen statt. So auch in Österreich, wo das Wiener Innenministerium eine Ausstellung unter dem Titel „Krieg an der Wand“ zeigte. Die ging bemerkenswerterweise auf die Sammlung eines Privatmannes, Erik Eybl, zurück, der zusammen mit einem Geschichtsstudenten, Stephan Knott, auch den Katalog der Ausstellung erarbeitet hat. Es handelt sich um einen großformatigen, mehr als vierhundert Seiten starken Band mit mehr als tausend Abbildungen. Die technische Qualität ist vorbildlich, der Charakter als Dokumentation umfassend, man findet zwar in erster Linie Material der Habsburgermonarchie, aber auch solches aus Frankreich, Italien, Großbritannien, Rußland und den USA; im letzten Teil wird außerdem einiges zur Weiterwirkung des Kriegsplakates in der Folgezeit gezeigt.

Wenn man das Buch von Eybl und Knott trotz dieser Vorzüge etwas unbefriedigt aus der Hand legt, dann hat das vor allem mit der Art der Kommentierung zu tun. Deren Schwerpunkt liegt über weite Strecken auf der Darlegung der allgemeinen historischen Hintergründe, die aber nirgends selbständigen Charakter gewinnt, sondern sich an die Üblichkeiten hält. 

Die Ausführungen zur Bedeutung der Propaganda im allgemeinen und zur Plakatpropaganda im besonderen fallen demgegenüber kursorisch aus und bleiben ganz an der Oberfläche; die Besonderheit der Entwicklung, vor allem in den angelsächsischen Staaten, scheint den Autoren nicht klar zu sein; in dem im Anhang aufgenommenen Literaturverzeichnis fehlen bezeichnenderweise wichtige Titel der  Spezialliteratur. Ein kleineres Manko sind auch die oft vorhandenen, aber manchmal fehlenden Übersetzungen der fremdsprachigen Schlagzeilen oder deren etwas saloppe Übersetzung. 

Sonderwege der italienischen Propaganda

Entwertet wird der Band durch diese Mängel selbstverständlich nicht, aber der Abstand zu den zuletzt vom Londoner Imperial War Museum (War Posters – Weapons of Mass Communication, Thames & Hudson, London 2011) oder dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (Krieg und Propaganda 14/18, Hirmer Verlag, Hamburg 2014) herausgegebenen Katalogen ist so beträchtlich, daß man im Zweifel deren Anschaffung vorziehen sollte.

Nicht als Ersatz, aber als Ergänzung sei noch auf eine unlängst in Italien erschienene Veröffentlichung hingewiesen. Dabei handelt es sich um einen von Dario Cimorelli und Anna Villari herausgegebenen Katalog, der für eine Ausstellung publiziert wurde, die sich aus Anlaß des italienischen Kriegseintritts im Frühjahr 1915 mit „Gesellschaft, Propaganda, Konsens“ beschäftigt. Der Band ist selbst für denjenigen, der des Italienischen nicht mächtig ist, interessant, da er Material ausbreitet, das in dieser Konzentration bisher nur selten oder gar nicht gezeigt wurde. Wichtig sind dabei nicht nur die Sonderwege der italienischen Propaganda, insofern sie die Themen des Irredenta-Nationalismus wieder aufnahm, sondern auch die Tendenzen, die bereits auf den Stil und die Gestaltungsmomente des Faschismus vorauswiesen.

Erik Eybl, Stephan Knott (Hrsg.): Krieg an der Wand. Der Erste Weltkrieg im Spiegel der Plakate. Verlag des Geschichtsvereines für Kärnten, Klagenfurt 2014, gebunden, 447 Seiten, 36 Euro

Dario Cimorelli, Anna Villari (Hrsg.): La grande guerra. Società, propaganda, consenso. Intesa San Paolo, Mailand 2015, broschiert, 216 Seiten, 27 Euro