© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Devisenbringer und Symbolträger
Ruanda, Uganga, Kongo: Über das mühsame Geschäft, Berggorillas in einer Krisenregion zu schützen
Clemens Schneider

Daß in den Urwaldgebieten Äquatorialafrikas überhaupt noch Berggorillas (Gorilla beringei) leben, grenzt an ein Wunder. Denn die vor dem Aussterben stehende Art, die erst 1903 am Kivusee entdeckt wurde, ist in einer explosiven Krisenregion beheimatet, dort, wo die Grenze zwischen der Demokratischen Republik Kongo, Ruanda und Uganda verläuft.

Vor 25 Jahren begann der Bürgerkrieg in Ruanda, der 1994 in einen Völkermord mündete. Opfer und Täter flüchteten in den Kongo, der damals noch Zaire hieß, sowie in das von der Diktatur Idi Amins zerrüttete Uganda. Die Gorilla-Lebensräume im kongolesischen Virunga-Nationalpark, in Ruandas Vulkan-Nationalpark sowie im Biwindi-Impenetrable-Nationalpark Ugandas gerieten dabei zwischen die Fronten. Flüchtlingslager entstanden am Rande des Virunga-Nationalparks, deren Bewohner sich mit Holz und Nahrung aus dem Wald versorgten.

Westliche Stiftung bezahlt den Naturschutz

Die Gefahr für die heute auf den Bestand von knapp 900 Tieren reduzierte Primatenart nahm 1996 mit dem ersten, 1998 mit dem zweiten „Kongokrieg“ weiter zu, dessen blutige Spätwirkungen bis 2014 spürbar blieben, als es wieder zu Massakern an der Zivilbevölkerung des östlichen Kongo kam. Bewaffnete Gruppen, die sich aus den Tätern des Ruanda-Genozids rekrutierten, nutzten die Virunga-Region sowohl als Rückzugszone wie auch, durch großflächigen Holzeinschlag, als einträgliche Ressourcenquelle. Sie töteten, wie die Bayreuther Geographinnen Kristin Tirpitz und Claudia Gebauer in ihrer Studie über das Nationalparkmanagement im Dreiländereck berichten (Geographische Rundschau, 6/16), 2007 überdies sechs Gorillas – nicht um ins lukrative Wilderer­geschäft einzusteigen, sondern um sich als Unsicherheitsfaktor gegenüber den am Gorillatourismus verdienenden Nationalpark-Staaten ins Spiel zu bringen.

In jüngster Zeit gesellen sich zu den zahlreichen Bedrohungen der Pflanzenfresser, deren Familien Habitate bis zu 40 Quadratkilometer beanspruchen, Versuche internationaler Energiekonzerne, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den bewaldeten Höhenlagen des Virunga-Territoriums nach Öl zu bohren. Nur massive Öffentlichkeitsarbeit des Umweltschutzverbands WWF konnte diese Explorationen in dem zum Unesco-Weltnaturerbe zählenden Park vorerst abwenden.

Der 1960 im Zuge der Entkolonialisierung auf drei Staaten aufgeteilte Lebensraum der gern als „menschenähnlich“ beschriebenen Affen wurde 1925 als Albert-Nationalpark in Belgisch-Kongo gegründet. Der damals befürchteten Ausrottung entgingen die Tiere wohl nur deshalb, weil die – 1985 in Ruanda vermutlich von Wilderern ermordete – US-Primatenforscherin Dian Fossey gemeinsam mit WWF und African Wildlife Fund (AWF) die internationale Aufmerksamkeit zum Schutz der Berggorillas mobilisierte. Ihren Protektoren gelang es jedoch nicht, die Regierungen der drei neuen Nationalstaaten für ein grenzübergreifendes Konzept gemeinsamer Verwaltung und sanfter touristischer Erschließung der Schutzgebiete zu gewinnen.

Was sich aber ungeachtet zwischen- und innerstaatlicher Konflikte seit den neunziger Jahren endlich etablieren ließ, war ein transnationales Management, da man den Nutzen des Gorillatourismus als wichtigen Devisenbringer erkannte. 2012 zählte allein Ruanda 28.400 Touristen, die einreisten und 750 Dollar pro Person nur für die Besuchs­erlaubnis zahlten, um auf Tuchfühlung mit der Gorillapopulation des Vulkan-Nationalparks gehen zu dürfen. Für das notorisch klamme Entwicklungsland Ruanda machen diese Einnahmen zwischen acht und zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Ähnlich hohe Zuflüsse beschert die enorme Anziehungskraft von neun habituierten, für Besucher zugänglichen Gorillafamilien im Biwindi-Impenetrable-Nationalpark dem Etat Ugandas.

Landbevölkerung sieht sich im Nachteil

Dieser wirtschaftliche Vorteil ist um so höher einzuschätzen, da alle drei Staaten dank des großzügigen finanziellen Engagements von WWF und anderen Naturschutzorganisationen nur einen Bruchteil der Kosten für den Naturschutz aufbringen müssen. So sollen Akzeptanz dafür verbreitert und Sympathien für die Berggorillas als „touristisches Aushängeschild“ der Region geweckt werden. Um darüber hinaus die in unmittelbarer Nähe der Parks wohnende Landbevölkerung, die durch die Gorillas Zugang zu potentiellem Siedlungsraum und Ackerland versperrt sieht, für sein Anliegen zu sensibilisieren, setzt sich der WWF für eingeschränkte, nicht-invasive Nutzung der Waldressourcen (Holz, Wasser, Heilkräuter, Bienenzucht) ein, um illegalem Raubbau vorzubeugen.

Trotzdem sind Auseinandersetzungen zwischen Parkwächtern und Anwohnern nicht selten, da andere Tiere der Schutzgebiete häufig Felder der Bauern heimsuchen und große Schäden verursachen. Ausgleichszahlungen gibt es dafür nicht. In Uganda und Ruanda scheinen sich die Konflikte jedoch seit geraumer Zeit dadurch zu entschärfen, daß wenigstens ein kleiner Teil der Tourismuseinnahmen in Projekte der Anrainerdörfer fließt. In Ruanda, wo die Gewinnbeteiligung 2005 eingeführt wurde, standen bis 2009 immerhin 428.000 Dollar zur Verfügung, um Schulen, sanitäre Einrichtungen und Gemeindezentren in den Dörfern am Vulkan-Nationalpark zu bauen.

Zur weiteren „Aussöhnung“ zwischen Mensch und Gorilla soll die vom WWF mit angestoßene Human Gorilla Conflict Resolution beitragen. Beabsichtigt ist, Dorfbewohner dafür auszubilden, die aus den Parks kommenden Tiere zurückzudrängen, ohne daß Mensch und Tier Schaden nehmen. Pufferzonen, in denen begrenzte landwirtschaftliche Nutzung erlaubt ist, oder Aufforstungsflächen sollen dabei eine „natürliche Mauer“ um die Schutzgebiete ziehen.

Ihr wichtigstes Ziel haben WWF und AWF allerdings noch nicht erreicht: eine supranationale, zentrale Organisation des Naturschutzes in der Region. Denn der Verzicht auf Souveränität, auf eine eigenständige „Inwertsetzung der einzigartigen Berggorillas als Devisenbringer und Symbolträger“, hätte für Kongo und Uganda, besonders aber für Ruanda, erhebliche wirtschaftliche Einbußen zur Folge.