© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

Das ungeliebte Kind
Bundesverfassungsgericht: In der kommenden Woche entscheidet Karlsruhe im jahrelangen Streit um das Betreuungsgeld
Taras Maygutiak

Ein Krippenplatz kostet stolze 9.450 Euro pro Jahr. Gerade einmal 1.800 Euro muß der Staat aufwenden, wenn Eltern stattdessen das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen. Wer findet, daß sein Kind bis zum dritten Lebensjahr zu Hause besser aufgehoben ist als in einer öffentlich geförderten Betreuungseinrichtung, hat seit dem 1. August 2013 Anspruch auf einen staatlichen Zuschuß. 

Zunächst waren es monatlich 100 Euro, seit dem 1. August 2014  wurde die finanzielle Zuwendung pro Kind und Monat auf 150 Euro erhöht. Geregelt ist das im Betreuungsgeldgesetz. Für die Ideologen, die die Kinder in subventionierter Rundumversorgung abseits des Elternhauses besser aufgehoben sehen, ist die Kostenfrage aber eher sekundär. Da geht es eindeutig um mehr. Die heile Welt ist die Krippe, und Eltern können das mit der Erziehung ohnehin nicht so gut, ist offensichtlich die Überzeugung, die sie verinnerlicht haben. Da der Gang vors Bundesverfassungsgericht schon seit langem die Fortsetzung der politischen Auseinandersetzung mit anderen Mitteln ist, liegt der Zankapfel jahrelanger politischer Grabenkämpfe seit Mitte April in Karlsruhe. Der Hamburger Senat hatte eine sogenannte abstrakte Normenkontrolle zum Betreuungsgeldgesetz des Bundes beantragt. Niedersachsen schloß sich dem Antrag an.  Am Dienstag wird der 1. Senat sein Urteil verkünden. 

Zu klären seien „etliche staatsorganisationsrechtliche sowie grundrechtliche Fragen“, hatte der Vorsitzende des zuständigen Senats, Ferdinand Kirchhof, während der mündlichen Verhandlung im April erklärt. Zum einen wollte sich das Gericht der Kompetenzgrundlage des Gesetzes widmen. Der Bund habe die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das Recht der „öffentlichen Fürsorge“ in Artikel 74 des Grundgesetzes, hatte Kirchhof damals erläutert. Die zu klärende Frage: Fällt darunter allein die Hilfe in individuellen und existentiellen Notlagen oder auch die Gewährung einer generellen Subvention in bestimmten Familiensituationen? Zudem sollte geklärt werden, ob der Bund diese Kompetenz zur Gesetzgebung auch im konkreten Fall ausüben darf. Der Bund sei für eine Regelung der öffentlichen Fürsorge nach Artikel 72 des Grundgesetzes erst zuständig, wenn und soweit sie „zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet erforderlich ist“, hieß es.

Der Bund und Bayern, das sich der Argumentation der Bundesregierung angeschlossen hat, bejahen das und weisen auf das Gesamtkonzept hin, das einen bundesweiten Anspruch entweder auf einen Platz in einer Kindertagesstätte oder auf das Betreuungsgeld bereitstellt. Zum dritten befaßte sich das Gericht mit den grundrechtlichen Fragen, die der Antragsteller moniert: Das Betreuungsgeldgesetz ist nach Ansicht des Hamburger Senats „materiell verfassungswidrig“ und verstößt gegen die Artikel 3 und 6 des Grundgesetzes. „Mit der Gratifikation für ein Aufwachsen außerhalb öffentlich geförderter Kinderbetreuungseinrichtungen führt das Betreuungsgeld eine Ungleichbehandlung anhand eines Kriteriums ein, das mit dem allgemeinen Gleichheitssatz im Lichte des Schutzes der Familie und des Elternrechts unvereinbar ist“, lautet die Begründung. 

Weiter: Auch der Aspekt der Anerkennung erzieherischer Leistung könne das Betreuungsgeld nicht rechtfertigen, da die Entscheidungsfreiheit der Familie in bezug auf die Kinderbetreuung nicht unter Berücksichtigung des Neutralitätsgebots gefördert werde. Das Betreuungsgeld löse darüber hinaus bei Männern und Frauen gravierend unterschiedliche Effekte aus. 

Deutlicher Anstieg der Zahlen

Der Hamburger Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) hatte in der Verhandlung im April verbal schwere Geschütze aufgefahren: Ein Drittel der Kinder in Hamburg lebten von staatlicher Unterstützung, die Hälfte aller Kinder hätten einen Migrationshintergrund. Er machte keinen Hehl daraus, daß er die Kinder in den Krippen besser aufgehoben sehe. Man habe bisher mit den Krippen beste Erfahrungen gemacht.  

Gegenwind gab es von Staatsministerin Emilia Müller (CSU) aus der Bayerischen Staatskanzlei: „Das Betreuungsgeld hat sich bewährt, das ist echte Wahlfreiheit.“ Hatten Anfang 2014 noch rund 140.000 Familien das Betreuungsgeld in Anspruch genommen, so waren es Ende 2014 bereits rund 400.000 Familien. Das bewertete Müller als eine „wichtige Stütze“„ Viele Eltern wollten sich selbst um ihre Kleinsten kümmern, meinte die Ministerin. Sie prangerte bei der Argumentation der Antragsteller an, daß Eltern die Kompetenz abgesprochen werde. Die Möglichkeit, das Betreuungsgeld in Anspruch zu nehmen, sei „Ausdruck der elterlichen Entscheidungsfreiheit“.