© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

Die großen Träume sind geplatzt
Börsenkrach in China: Panikverkäufe lassen Luft aus der Aktienblase / Zweifel am Staat als Garantiemacht
Felix Lehmann

Wenn es um Chinas Zukunft geht, beschwört Xi Jinping gerne den „chinesischen Traum“. Was damit konkret gemeint ist, läßt der Staatspräsident der Volksrepublik im unklaren. Doch seit dem Crash an den chinesischen Börsen ist für viele Chinesen ein ganz großer Traum geplatzt – der Traum vom schnellen Geld.

Die Aktienmärkte in China haben vorige Woche eine Achterbahnfahrt erlebt. Der Shanghaier Börsenindex (SSEC) verlor in den vergangenen vier Wochen fast 16 Prozent. Der CSI 300, der die größten festlandchinesischen Aktien der Handelsplätze Shanghai und der Sonderwirtschaftszone Shenzhen listet, verlor sogar über 31 Prozent. Notierte der CSI Anfang Juni noch bei 5.335 Punkten, fiel er am 8. Juli auf nur noch 3.663 Zähler. Durch den Kursrutsch wurden vermeintliche Vermögen vernichtet, die etwa dem Wert des deutschen Bruttoinlandsproduktes entsprechen.

Der Börsenkrach ist die heftigste Turbulenz auf dem chinesischen Aktienmarkt seit der Krise von Oktober 2007. Damals brachen die Kurse rasant ein – der SSEC fiel von 5.954 auf 1.728 im Oktober 2008. Nach der Lehman-Pleite pendelte der SSEC einige Jahre zwischen 3.400 und 2.000, um dann zum Höhenflug anzusetzen: von 2.039 im Mai 2014 auf 4.611 im Mai 2015. Zu Monatsbeginn waren es nur noch 3.877 Zähler. Manche befürchten nun einen weltweiten Konjunktureinbruch und sehen gar frappierende Parallelen zum „Schwarzen Freitag“ von 1929.

Doch anders als damals in New York blieben die Weltbörsen weitgehend unbeeindruckt. Die Krise veranlaßte allerdings mehr als die Hälfte der börsennotierten Unternehmen Chinas, den Aktienhandel auszusetzen, weil sie das gesetzliche tägliche Verlustlimit von zehn Prozent überschritten hatten. Über 1.300 weitere Aktien nahmen überhaupt nicht mehr am Handel teil – mit fadenscheinigen Ausreden wie „größeren anstehenden Angelegenheiten“ oder „Umstrukturierungen“. Bloomberg schätzt, daß derzeit 72 Prozent des chinesischen Marktes nicht gehandelt werden und ihren Crash erst noch nachholen werden.

Den Kursverlusten ging eine ungeahnte Hausse an den chinesischen Märkten voraus. Die Regierung in Peking hatte die Anleger geradezu in den Aktienhandel hineingejagt. Neben einer expansiven Geldpolitik hatte Chinas Regierung den Optimismus unter den Anlegern geschürt. Auf dem 3. Plenum des Zentralkomitees der KP vor zwei Jahren versprach Xi Jinping dem Volk weitere Wirtschaftsreformen – die aber nicht verwirklicht wurden.

Zugleich glaubte die Regierung, sie könne staatliche Investitionen in die heimische Wirtschaft einsparen, indem sie sich einfach auf den Aktionär als Kapitalgeber verließ. Staatliche Medien betrieben eine regelrechte Kampagne, die chinesische Kleinanleger zum Aktienkauf animieren sollte. Dazu wurde sogar der Aktienkauf auf Kredit ermöglicht. Da sich die alleinherschende Staatspartei fehlende demokratische Legitimität durch Versprechen von Wohlstand und Wirtschaftswachstum erkauft, steht sie durch den Crash vor den Trümmern ihrer eigenen Versprechen an das Volk. Vor allem viele junge Chinesen, die bisher nur kletternde Börsenkurse gewohnt waren, lernen erstmals die bittere Lektion, daß man an den Börsen nicht nur gewinnen, sondern auch verlieren kann.

 Gegenmaßnahmen blieben zunächst wirkungslos

Die Gegenmaßnahmen der chinesischen Aufsichtsbehörden blieben zunächst wirkungslos. Peking schnürte ein Rettungspaket nach dem anderen, die Mindestreservesätze und die Leitzinsen wurden gesenkt. Die chinesische Notenbank stellte 500 Milliarden Yuan (umgerechnet 73 Milliarden Euro) bereit, um die Aktienmärkte zu stützen. Man wolle den Kauf von Wertpapieren von kleineren und mittleren Unternehmen stärken, um angesichts der „Panik der Investoren“ wieder Normalität herzustellen, teilte die Wertpapieraufsicht mit.

 Am Montag lag der Shanghaier Index SSEC schon wieder bei knapp 4.000 Punkten, der CSI bei 4.200. Die Erholung sei ein „Beweis für die Überlegenheit unseres sozialistischen Systems“, jubelte die staatliche Börsenzeitung China Securities Journal. Mit „unkonventionellen“ Maßnahmen hat die KP die Krise an den Kapitalmärkten bändigen können und größere Verwerfungen vorerst verhindert. Mehrere Tage lang bestimmte der Eindruck die Schlagzeilen, die „chinesische Variante“ des Kapitalismus, bei der Staatskonzerne die wirtschaftlich relevanten Schlüsselindustrien bestimmen, während auf den Nebenschauplätzen ein freier Markt geduldet wird, sei gegen das Platzen von Vermögenspreisblasen nicht gewappnet.

Wenn sich die Führer in Peking jetzt klug anstellen, könnten sie nun die längst ins Auge gefaßten Marktreformen beschleunigen. Experten melden jedoch Zweifel an der langfristigen Wirksamkeit der Maßnahmen an. Thomas Gerhardt, Schwellenländer-Experte bei Edmond de Rothschild in Frankfurt, kritisierte jüngst in der Süddeutschen Zeitung die hastigen Aktionen der Pekinger Regierung: „Sie versucht, den Aktienmarkt zu managen, aber das ist ein Kampf gegen Windmühlen“, sagte er. Dadurch, daß ein Großteil der Aktien vom Handel ausgesetzt wurde, sei die Situation weiter eskaliert, weil sich der Handel dann „auf die restlichen 15 Prozent konzentriert, die massiv einbrechen“.

Viele Chinesen haben nun zum zweiten Mal erlebt, daß auch bei ihnen der Staat außerstande ist, bei Panikverkäufen das Marktgeschehen zu steuern.