© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

Pankraz,
der Postbeamte und die geile Revolution

Revolution ist geil.“ So hörte es Pankraz kürzlich aus dem Mund eines aufgeweckten Abiturienten. Aber der stand mit seinem Reden keineswegs allein. Überall im Land hört man zur Zeit diesen Refrain. Er ist zum Grundakkord jedes politischen Gesprächs geworden, ob an Stammtischen oder in hochwissenschaftlichen Seminaren. Die sich ständig verschärfenden Widersprüche im herrschenden Kapitalismus könnten nur noch mittels einer Revolution aufgelöst werden, vernimmt man. Und das sei gut so. Denn Revolution mache  ausgesprochen Spaß. 

Jetzt hat sich auch die legendäre „Frankfurter Schule“ einschlägig zu Wort gemeldet, in Form eines umfänglichen Aufsatzes in der Juli-Nummer der Zeitschrift Merkur. Verfasser ist der Philosophie-Professor Christoph Menke (56), der in der Branche als „wichtigster Vertreter der dritten Generation der Frankfurter Schule“ (Stefan Gandler) geführt wird. Menke hebt bedeutungsvoll den Zeigefinger und weist darauf hin, „daß die gegenwärtige Konjunktur der Revolution mit einem grundsätzlichen Bedeutungswandel gegenüber ihrer letztmaligen einhergeht“.

Worin besteht dieser Bedeutungswandel à la Menke? Frühere Theorien, führt er aus, hätten die Revolution stets als letztes Mittel zur Lösung schwerer politisch-sozialer Krisen interpretiert. Heute habe man dagegen eingesehen, daß „Krise“ und „Revolution“ nicht unbedingt zusammengehörten. „Revolution“ sei im Kern kein Moment objektiv-evolutionärer Vorgänge, sondern die subjektive Reaktion darauf, ihre semantische Überhöhung und Idealisierung (Menke sagt „Transzendentalisierung“) durch die selbsternannten Revolutionäre.


Zitat Menke: „Revolutionär ist die Fähigkeit der Subjektivität als solcher: die unbestimmte Fähigkeit oder die Fähigkeit der Unbestimmtheit, die Kraft der Negativität, von allem zu abstrahieren und zu allem nein zu sagen. Revolutionär ist das Subjekt nur als die Instanz unbestimmter Freiheit und leerer Gleichheit . (…) Die Revolution ist nicht die Lösung irgendeiner Krise. Sie ist nichts anderes als der Neuanfang einer Geschichte, in der es Neuanfänge gibt. Die Revolution fängt das Anfangen an. Aber anfangen kann man nicht am Anfang. Die Revolution kommt immer erst spät in der Geschichte.“

Erst mit Erstaunen, dann mit Amüsement registriert der Leser, daß solche Sätze keineswegs als Kritik, sondern als Lobpreis der neuen Revolutionäre gemeint sind. Energisch betont Menke, daß der Revolutionär angesichts der Geschichte immer zu spät komme, daß „die Arbeit“ immer schon geleistet sei. Doch Revolution, jubelt er, sei nun mal keine Arbeit, sie sei vielmehr „Kunst“ im vornehmsten Sinn des Wortes.

Über den Bolschewikenhäuptling Lenin macht sich der Autor lustig, weil der geschrieben hat, ein echter Revolutionär müsse handeln wie ein akkurater und zuverlässiger Postbeamter, er müsse die ehernen Gesetze der Ökonomie verwirklichen, wie der Postbeamte pünktlich seine Briefe austrägt. Genau von daher sei alles Elend der russischen Revolution von 1917 gekommen, nämlich von den fleißigen Postbeamten. Wären stattdessen echte Künstler am Werk gewesen, hätte es zumindest für diese Künstler selbst eine monumentale „transzendentale“ Befriedigung gegeben. Revolution ist geil.

Man muß wohl sagen: So zynisch, so völlig unbetroffen von den schrecklichen Folgen, die  Revolutionen bisher hatten, hat vor Menke noch kein Vertreter der Frankfurter Schule gesprochen. Immerhin gab es in deren erster Generation Publikationen wie Horkheimer/Adornos „Dialektik der Aufklärung“, wo das grausame Doppelgesicht radikaler Weltveränderung im Namen von Fortschritt und Humanismus eindrucksvoll ins Visier genommen wurde. Davon ist bei Menke nicht einmal die Spur übriggeblieben. Der leistet nur noch Lobbyarbeit für eventgeile „Künstler“ aus der alleruntersten Schublade.


Sein Beitrag zur Klärung des Revolutionsbegriffs läuft gegen Null. Dabei ist die Forschung bekanntlich schon weit vorangekommen. Als nicht mehr bestreitbare Tatbestände gelten vor allem zwei Phänomene. Erstens: Revolutionen, also gewalttätige, alle geltenden Gesetze frech hinwegfegende Bewegungen „von unten“, bewirken stets das Gegenteil dessen, was sie (wirklich oder angeblich) gewollt haben. Zweitens: Die Kosten, die sie mit sich bringen, also die Opfer an Menschenleben und materiellen Gütern, mindern das allgemein schon erreichte Lebensniveau in dramatischer Weise und für viele Generationen.

„Jede gelungene Revolution führt zu einer Stärkung der staatlichen Macht“, schrieb seinerzeit Alexis de Tocqueville in seinem berühmten Buch über die Demokratie in Amerika. Doch was auf die meisten Revolutionen folgte, waren in Wirklichkeit wüste Gewaltherrschaften und verheerende Kriege. Und was heißt denn „gelungene Revolution“? Verglichen mit Absichtserklärungen nimmt sich jede Verwirklichung irgendwie ungelungen aus. Hegel sprach von den „Aporien der Verwirklichung“. Der Teufel hat immer seinen Huf dazwischen,  und das gilt natürlich vor allem bei Revolutionen.

Bereits der Name „Revolution“ führt ja gründlich in die Irre. Er stammt von Nikolaus Kopernikus, der damit die gleichmäßige, kreisförmige und streng gesetzmäßige Bewegung der Sterne bezeichnen wollte. Politisch wurde der Begriff zum ersten Mal 1688 in England verwendet; da sprach man von der „Glorious Revolution“ und meinte die endliche Wiederherstellung der alten, legitimen Zustände nach all den Wirren und Grausamkeiten, die das Wirken des Diktators Oliver Cromwell angerichtet hatte.

„Revolution“ bedeutete am Ursprung genau das Gegenteil dessen, was die späteren Eventhuber aus ihr gemacht haben. Wilhelm von Oranien, der allseits beliebte König Britanniens, veranstaltete damals zur Feier seines Sieges und der neuen Sternen-Eintracht überall im Lande ausgedehnte fröhliche Versöhnungsfeste, auf denen viel Bier und viel Whisky geflossen sein sollen. Das Event war da. Die Kunst ließ noch auf sich warten.