© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

Der Dichter und der Massenmörder Seit’ an Seit’
Paradoxien des 20. Jahrhunderts: Bertolt Brecht und das mißglückte Stauffenberg-Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944
Thorsten Hinz

Der Schriftsteller Bertolt Brecht, wäre er 1933 nicht gleich nach Hitlers Machtergreifung emigriert, hätte das Dritte Reich kaum überlebt. Der seit der „Dreigroschenoper“ den Wohlstand genießende Dichter und Kommunist, der Bürgerschreck und Liebling des bürgerlichen Kulturbetriebs, war für die Nationalsozialisten eine Haßfigur. Seine Weltanschauung bewahrte Brecht davor, den Haß auf das NS-Regime auf das Volk und das Land zu übertragen. Gemäß der Faschismus-Definition Georgi Dimitroffs war der Nationalsozialismus für ihn eine besonders reaktionäre und brutale Herrschaftsform der Monopolkapitalisten und Junker über das arbeitende Volk.

Rührend schlecht ist die künstliche Naivität der Verse in einem Exil-Gedicht: „Der Hitler wird verjaget sein / Wenn wir uns nur bemühen. / Und unser liebes Deutschland / wird wieder blühen.“

Von Kalifornien aus verfolgte er den Kriegsverlauf. Die Bombardierung der Städte bewegte ihn tief. Über die anglo-amerikanische Operation „Gomorrha“ notierte er am 26. Juli 1943 (in konsequenter Kleinschreibung): „hamburg geht unter. über ihm steht eine rauchsäule, die doppelt so hoch ist wie der höchste deutsche berg, 6000 meter. die  mannschaften der bomber benötigen sauerstoffapparate. seit 72 stunden erfolgt alle 12 stunden ein angriff.“

Der gebürtige Augsburger nahm im Gedicht „Rückkehr“ das Ende des Exils vorweg, das durch den Krieg in Bitterkeit getaucht sein würde: „Tödlich Schwärme / Melden euch meine Rückkehr Feuersbrünste / gehen dem Sohn voraus“.

Brechts Lyrik mit der von Horst Wessel verglichen

Bitter, ja haßerfüllt sind seine Notizen über Thomas Mann, den er im „Arbeitsjournal“ das „reptil“ nennt. Mann hatte 1943 seine Unterschrift unter eine Erklärung deutscher Autoren zurückgezogen. Es hieß darin, es sei „scharf zu unterscheiden“ zwischen dem Regime und dem Volk, und „eine starke deutsche Demokratie“ sei die Voraussetzung für den Weltfrieden. Mann ging diese Festlegung, die ein weiterhin starkes Deutschland implizierte, gegenüber den Amerikanern zu weit. Er sei der Meinung, hielt Brecht fest, daß die Deutschen zehn oder zwanzig Jahre „gezüchtigt“ gehören und ihnen die Besetzung durch die Russen zu wünschen sei.

Es war ein starkes Stück, als der Bonner Außenminister Heinrich von Brentano 1957 – in der Hochzeit des Kalten Krieges – im Bundestag Brechts Lyrik mit der Horst Wessels verglich. Der CDU-Minister häufte damit Schande auf seinen Familiennamen, der untrennbar mit der deutschen Romantik verbunden ist. Tatsächlich hatte Brecht in den dreißiger Jahren eine Parodie auf das Horst-Wessel-Lied verfaßt und es in sein Gegenteil verkehrt: „Der Metzger ruft. Die Augen fest geschlossen. / Das Kalb marschiert mit ruhig festem Tritt. /Die Kälber, deren Blut im Schlachthof schon geflossen / Sie ziehn im Geist in seinen Reihen mit.“

Möglicherweise hätte Brentano wirkungsvoller argumentiert und Brechts Verteidiger in Verlegenheit gebracht, wenn er den Eintrag gekannt hätte, den der Dichter am 21. Juli 1944 – einen Tag nach dem mißglückten Attentat auf Hitler – ins Arbeitsjournal schrieb: „als etwas über die blutigen Vorgänge zwischen Hitler und den junkergenerälen durchsickerte, hielt ich für den augenblick hitler den daumen; denn wer, wenn nicht er, wird uns schon diese verbrecherbande austilgen? Zuerst hat er dem herrnklub seine sa geopfert, jetzt opfert er den herrnklub, und was ist mit der ‘plutokratie’? die deutsche bourgeoisie mit ihrem junkerhirn erleidet einen gehirnschlag.“

Es war eine Augenblicksaufnahme, in welcher der Klassenkämpfer über den Patrioten obsiegte. Jetzt ließ seine Weltanschauung ihn die grausame Tragik, die das Scheitern Stauffenbergs & Co. für Deutschland unweigerlich bedeutete, verkennen beziehungsweise als zweitrangig erscheinen. Wider Willen gab Brecht die Parallelen zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus und den revolutionären Charakter Hitlers zu. Der wiederum lag unwissentlich auf der Linie Brechts, als er sich im Februar 1945 in seinen rückblickenden Bunkermonologen über seine Inkonsequenz als Revolutionär ärgerte: „Wir haben die linken Klassenkämpfer liquidiert, aber leider haben wir dabei vergessen, auch den Schlag gegen rechts zu führen. Das ist unsere große Unterlassungssünde.“ 

Der Massenmörder und der geniale Dichter und Antifaschist Seit’ an Seit’ im Kampf gegen Rechts: Auch das gehört zu den deutschen Paradoxien des 20. Jahrhunderts, die man lernen muß auszuhalten.