© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

Staaten wollen dem Netz Ketten anlegen
Netzneutralität, Staats-Facebook: So soll das freie Internet auf Nimmerwiedersehen verschwinden
Henning Lindhoff

Den Spott hatte sie auf ihrer Seite. Nachdem Angela Merkel das Internet auf dem Evangelischen Kirchentag mit einer Waschmaschine verglichen hatte, wurde dieser Mini-Lapsus aus der Schublade „Neuland“ in den Leitmedien genüßlich ausgebreitet. 

Eine andere Nachricht wäre viel interessanter gewesen. Ein Videomitschnitt, der in sozialen Netzwerken schnell verbreitet wurde, zeigt die Bundeskanzlerin in einer Diskussion mit der Medienforscherin Petra Grimm. Diese seit drei Jahrzehnten an staatlichen Hochschulen sozialisierte Frau Grimm verkündete Beachtliches. Sie forderte eine weitere Verstaatlichung des Internets.

Selbst Angela Merkel stockte der Atem. Die Leiterin des Instituts für Digitale Ethik (IDE) verlangte die Errichtung eines „gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen“ Facebook. „Webook“ solle es heißen. Das Wir im Netz. „Das würde uns garantieren, daß wir all das machen können, was wir heute schon machen. Aber es würde auch sicherstellen, daß niemand in den USA diese Daten an irgendjemanden weitergibt, der mich dann möglicherweise daran hindern wird, einen guten Job zu bekommen, eine gute Prämie bei der Krankenversicherung, einen guten Kredit oder ähnliches.“ 

Daß das Internet weitgehend ohne staatliche Initiative entstand, heute auch zu größten Teilen privat betrieben wird, paßt nicht so ganz in ihr in staatlichen Bildungsanstalten geformtes Weltbild hinein: „Uns fehlt da der öffentlich-rechtliche Gedanke.“

Es mag an der Kritik Frau Grimms an den US-amerikanischen Geheimdiensten gelegen haben, daß die Kanzlerin statt der vom ZDF abgestellten Moderatorin kritisch nachfragte:  „Aber es soll doch nicht so wie beim Fernsehen sein, daß man da so eine Art Zwangsmitgliedschaft hat, oder? Das würde man heute schwer rechtlich rechtfertigen können.“ Petra Grimm beteuerte, „Webook“ solle nur ein Angebot darstellen. Angela Merkel erteilte einem sozialen Netzwerk aus staatlicher Hand eine kleine Abfuhr. Dennoch zeigt diese Impression vom Evangelischen Kirchentag 2015, wohin die Reise gehen wird.

Seit den Enthüllungen von Edward Snowden laufen in allen Industrieländern die Planungen für Internet Governance. Lange Zeit war das digitale Kommunikationsnetz eine wirkliche Gefahr für die Mächtigen. Jetzt sollen dem Internet noch mehr Ketten angelegt werden.

Daten sollen Schengen-Grenzen nicht verlassen 

Angela Merkel beriet sich bereits 2014 mit François Hollande über ein „europäisches Datenschutz-Netzwerk“. Ziel ist es, die Reichweite des Internets für europäische Nutzer deutlich zu beschneiden. Merkel sagte damals: „Wir werden vor allen Dingen auch darüber sprechen, welche europäischen Anbieter wir haben, die Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger bieten: daß man nicht erst mit seinen E-Mails und anderem über den Atlantik muß, sondern auch innerhalb Europas Kommunikationsnetzwerke aufbauen kann.“ 

Die Deutsche Telekom initiierte bereits 2013 Planungen zu einem solchen Unterfangen. In dem vom rosa Riesen angepeilten Netz sollen Daten aus Deutschland die Schengen-Grenzen nicht verlassen. Seit mehreren Monaten schon laufen entsprechende Beratungen mit der französischen Telefonfirma Orange. Unter Wissenschaftlern herrscht keine Einigkeit über die Sinnhaftigkeit eines solchen „Schengen-Routings“. 

Siegeszug des Internets dank Deregulierung

Während sich Sandro Gaycken von der TU Berlin im NSA-Untersuchungsausschuß des Bundestags für die neue Technik aussprach, kann Hartmut Pohl, Professor für Informationssicherheit an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, einer solchen Regulierung nichts abgewinnen. Wenig Mühe bereite es den britischen und US-amerikanischen Geheimdiensten schließlich, die großen Internetknoten, wie zum Beispiel DE-CIX in Frankfurt am Main, abzuschnorcheln, so Pohl. Mal ganz abgesehen von der Bereitschaft deutscher Stellen, die Daten freiwillig weiterzugeben.

Angefangen hatte alles ohne Staat: Der weltweite Siegeszug des Internets wäre ohne die Liberalisierung auf dem US-Markt in den neunziger Jahren so nicht möglich gewesen. Die Zahl der weltweit digital vernetzten Menschen stieg von 88.000 in den späten 1980ern auf mehr als drei Milliarden (2014). Die Internationale Fernmeldeunion, eine Organisation der Vereinten Nationen, schreibt in ihrem Jahresbericht, daß der weltweite Datenaustausch einen Umfang von 58.000 Petabyte pro Monat erreicht habe – Tendenz rasant weiter steigend. 

Doch damit könnte bald Schluß sein. Wegen der sogenannten Netzneutralität. Im Februar beschloß die US-amerikanische Federal Communications Commission (FCC), Netzbetreibern zu verbieten, bestimmte Datenpakete schneller durch das Netz zu leiten. Angespornt von Barack Obamas Forderungen nach einem „freien und offenen Internet“ für jedermann, erklärte die FCC das Internet damit zu einem „öffentlichen Gut“ und damit zur regierungsamtlichen Chefsache. 

Internet-Provider dürfen in den Vereinigten Staaten nun nicht mehr eigenständig entscheiden, was mit ihren Diensten geschieht. Aufgrund eines Dekrets müssen alle Daten als gleich viel, das heißt gleich wenig, wert behandelt werden. Sebastian Edathys Kinderpornos werden also genauso schnell durch das Internet geleitet wie die Studienergebnisse der Nuklearforscher am CERN in Genf. 

Neue Millionen für         staatliche Indoktrination

Diejenigen, die Demokratie mit Freiheit und Dekrete mit Gerechtigkeit verwechseln, freuen sich darüber. Sie denken, das Internet sei damit gerettet, die digitale Zwei-Klassen-Gesellschaft verhindert. Doch im Gegenteil: Die Netzneutralität beschränkt das Internet. Seine Nutzer werden in ihren Möglichkeiten des Austauschs begrenzt. Der von den Befürwortern der Netzneutralität gescholtene Kapitalismus war seit dem Jahr 1996 der Garant für das Wachstum des Netzes und damit für eine Wohlstandsmehrung bis dato ungeahnten Ausmaßes. Es war gerade der chaotische Markt, der das kreative Spiel der Konkurrenten ermöglichte, neue Chancen sprießen, Potentiale wachsen, aber auch schlechte Ideen scheitern ließ. Das Internet stellt damit den größten Deregulierungserfolg der letzten Jahrzehnte dar.

Die Befürworter von sogenannter Netzneutralität gehören oft auch zu den Unterstützern eines öffentlich-rechtlichen Facebooks. Keine Partei und kein Politiker würde dieser Versuchung wohl widerstehen können. Und tatsächlich zielen manche Projekte der Bundesregierung, allen kritischen Einwürfen der Kanzlerin zum Trotz, bereits in diese Richtung. Kürzlich genehmigte die Rundfunkaufsicht einen jährlichen Etat von 45 Millionen Euro für neue Jugendangebote von ARD und ZDF im Internet, die vor allem über private Drittanbieter wie Youtube und Facebook publiziert werden sollen. Die Infiltration zumindest hat also bereits begonnen.

Doch bleibt noch Hoffnung? Ein ganz neues Internet aufzubauen vielleicht. Hyperboria heißt ein Projekt in den USA. Die Initiatoren haben es sich zur Aufgabe gemacht, ein großes Netzwerk unabhängig von den heute aktiven Netzbetreibern aufzubauen. Funktionieren soll dies über die WLAN-Funktion der Endnutzer-Geräte. Auf diese Weise könnten sich Smartphones mit Computern und Fernsehern, Nachbarn mit Nachbarn, Stadtteile mit Stadtteilen und Städte mit Städten digital verknüpfen – absolut unabhängig von den großen halb- bis vollstaatlichen Netzbetreibern. Hyperboria läßt sicherlich noch einige Fragen offen. Aber es stellt eine Möglichkeit dar, langfristig „Webook“ und all den anderen digitalen Armen des Staatskraken zu entkommen.