© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

Urteil im Prozeß gegen früheren Buchhalter in Auschwitz
Symboljustiz
Günter Bertram

Wie könnten Massenmorde in Stätten wie Auschwitz je gerecht gesühnt werden – von einer Justiz, die notwendigerweise auf strafrechtliche Bewältigung des normalen Alltags, nicht einer nationalen Vergangenheit zugeschnitten ist, und deren Kategorien wie Täterschaft, Teilnahme, Irrtum, Notstand, Rechtswidrigkeit oder Schuld auf staatlich befohlene Massenverbrechen schlechterdings nicht passen? Obwohl vom Gesetzgeber allein gelassen, hat sich die Justiz insbesondere seit den späten fünfziger Jahren energisch bemüht, NS-Gewaltverbrechen zu ermitteln, anzuklagen und abzuurteilen. Daß sie dabei täterzentrierte Justiz geblieben und keine Geschichtswerkstatt geworden ist, hat ihr immer schon (seit der Jahrhundertwende zunehmend) Kritik eingetragen. 

Im Fall Oskar Gröning lag allerdings kein Problem im Begriff der „Beihilfe“, weil diese schon nach dem eigenen Geständnis vorgelegen hat. Der Punkt ist vielmehr die rigorose Beurteilung der Individualschuld eines Gehilfen im letzten Glied, wie sie im Überbieten des Strafantrags und im mündlichen Urteil zum Ausdruck gekommen ist. Trügt der Eindruck, daß sich jetzt auch die Justiz gelegentlich mehr zum Zeichensetzen berufen fühlt als zum dornigen und unspektakulären Mühen um individuelle Gerechtigkeit?





Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Hamburger Landgericht.