© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

Ein Grüner spielt Schwarzer Peter
Platzmangel: Laut Winfried Kretschmann sollen die neuen Bundesländer mehr Asylbewerber aufnehmen
Lion Edler

Wer hätte das von einem Grünen-Politiker erwartet? Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, fürchtet sich anscheinend vor zu vielen Asylbewerbern in seinem Bundesland. Eine Furcht, die es im grünen Milieu eigentlich gar nicht geben darf. Kretschmann muß sie deshalb verklausuliert ausdrücken. Er sagt: „Wir können nicht nur nach dem Schlüssel operieren, sondern müssen auch schauen, wo tatsächlich Wohnraum vorhanden ist.“

Während nämlich in Großstädten Wohnungsmangel herrsche, würden in den neuen Bundesländern ganze Straßenzüge abgerissen, argumentiert der Landesvater. Der sogenannte Königsteiner Schlüssel, der die Anzahl der aufzunehmenden Asylbewerber pro Bundesland regelt, dürfe daher nicht das einzige Kriterium sein. Mit anderen Worten: Anstatt die Asylbewerber im grün regierten Baden-Württemberg unterzubringen, möge man doch bitte einen größeren Teil gen Osten expedieren.

Dort ist man freilich alles andere als begeistert von Kretschmanns Vorstoß. Thüringens Regierungssprecher Alexander Fischer (Linkspartei) sagte zwar dem Tagesspiegel, man unterstütze „alle Überlegungen“, die einer humanitären Asylpolitik dienten. Auch die „effiziente Ausnutzung“ der  Wohnraumkapazitäten gehöre dazu. Doch letztlich schiebt Fischer den Schwarzen Peter wiederum zum Bund. „Spielraum für eine Debatte über die Verteilung der Flüchtlinge auf die Länder“ könne es nur geben, wenn der Bund „dauerhaft und strukturell“ für die Finanzierung sorge: „Eine Erhöhung des Anteils an den aufgenommenen Flüchtlingen wäre grundsätzlich nur dann möglich, wenn den Ländern die entstehenden Kosten vollständig ersetzt werden.“

Noch ablehnender reagierte die sächsische Landesregierung. Der Königsteiner Schlüssel sei ein „faires Instrument“, sagte der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, Christian Hartmann. Kretschmann lasse außer acht, „daß es auch in den neuen Ländern Wachstumsregionen gibt – genauso wie sich in den alten Ländern dünn besiedelte Landstriche finden lassen.“ Insofern solle Kretschmann lieber an „konstruktiven Lösungen“ wie der „konsequenten Rückführung abgelehnter Asylbewerber“ arbeiten, sagte Hartmann nach einem Bericht des Tagesspiegel. 

„Zu wenige, die sichtbar Minderheiten angehören“

Etwa 450.000 Asylanträge werden im laufenden Jahr erwartet – mehr als doppelt soviel wie 2014. Kein Wunder also, daß der Deutsche Städtetag Alarm schlägt. „Wir kommen in den Städten kaum mehr nach, vernünftige Unterkünfte einzurichten“, sagte die Präsidentin des Städtetags, Eva Lohse (CDU), gegenüber der dpa. Viele Kommunen müßten bereits auf Turnhallen, Container oder Zelte ausweichen. In mehreren Bundesländern seien die Erstaufnahmeeinrichtungen „komplett überlastet“; bundesweit fehlten über 40.000 Plätze. Die Verantwortung sieht auch der Städtetag eher beim Bund: Dieser hatte sich zum Ziel gesetzt, daß Asylverfahren spätestens nach maximal drei Monaten in der Erstaufnahme abgeschlossen sein sollen. Asylbewerber, deren Anträge abgelehnt werden, sollten direkt aus der Erstaufnahme in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Davon sei man jedoch „noch weit entfernt“, klagt der Städtetag.

Doch damit nicht genug. Im Interview mit Spiegel Online legte Lohse noch einmal nach: Es gebe Befürchtungen, „weil wir fast nur noch alleinstehende Männer zugewiesen bekommen und keine Familien mehr“. Wenn man 50 junge Männer in einem Gebäude unterbringe, „kann das immer konfliktträchtig sein“, sagte Lohse. Deutschland brauche bundesweit mehr Erstaufnahmeeinrichtungen; gleichzeitig würde sie es „sehr begrüßen“, wenn Albanien oder das Kosovo als sichere Herkunftsländer eingestuft würden. 

Ganz andere asylpolitische Sorgen hat derweil die Vorsitzende der linken Amadeu-Antonio-Stiftung,  Anetta Kahane. „Im Osten gibt es gemessen an der Bevölkerung noch immer zuwenig Menschen, die sichtbar Minderheiten angehören, die zum Beispiel schwarz sind“, sagte Kahane nach einem Bericht des Tagesspiegel. Damit bezog Kahane sich auf die Vorschläge von Kretschmann. Es sei „die größte Bankrotterklärung der deutschen Politik nach der Wende“ gewesen, zugelassen zu haben, „daß ein Drittel des Staatsgebiets weiß blieb“. 

Willy Brandt habe vom Zusammenwachsen dessen gesprochen, was zusammengehöre, „und meinte die weißen Deutschen“, sagte Kahane. „Das hat einen nationalistischen Auftrieb ausgelöst.“ Kahane kann ihre Anschuldigungen mit der Autorität staatlicher Weihen vortragen: Die Amadeu-Antonio-Stiftung wird unter anderem vom Bundesfamilienministerium gefördert. 

Kritik an Kahane kam vom sächsischen CDU-Landtagsabgeordneten Sebastian Fischer. Kahanes Aussagen seien rassistisch und keiner Diskussion wert, sagte er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Ein Abrücken vom Königsteiner Schlüssel lehnt Fischer ab. „Die Politik darf nicht anfangen, Bevölkerung nach Gutdünken zu verteilen“, sagte Fischer. Andernfalls gefährde sie ihre Glaubwürdigkeit. 

 „Gerade wir in Sachsen haben doch erst unlängst erlebt, wie schnell politische Glaubwürdigkeit verspielt werden kann. Das sollte einem doch zu denken geben.“ 

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Foto: Zelte in der Erstaufnahmestelle für Asylbewerber in Eisenhüttenstadt: Immer konfliktträchtig