© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

CD-Kritik: The Chopin Project
Essenzen bleiben
Cornelius Persdorf

Erotik, Anspannung, Nachdenklichkeit – die von Arnalds und Ott induzierten elektrischen Synthese-Effekte sind deutlich genug, um den aufgeschlossenen Chopin-Neuling zu beeindrucken – und doch so subtil, daß Anhänger der historischen Interpretation keine Tränen vergießen. Das tiefe Atmen einer Frau in der Nocturne in C-moll. Der Klick auf der kleinen Trommel, der an eine Schreibmaschine erinnert. Das synthetische Hintergrundrauschen, das man aus Filmen wie „Ziemlich beste Freunde“ kennt.

Dennoch kann man den Interpreten nicht den Vorwurf machen, Chopin zu verfremden. Denn die Essenzen bleiben unangetastet: Unvermittelte Zweiunddreißigstel-Läufe mit abrupten Wendungen, avantgardistische Vierklang-Harmonik und balladenhafte Expositionen mit malerischen Melodien, lange Zwischenspiele aus Klangteppichen, sogar ein Eigenzitat im Eingang der Nokturne Cis-Moll, das an das Leitmotiv des berühmten Trauermarsches erinnert.

Für verblüffende Abweichungen sorgt der Komponist selbst, so zum Beispiel die autoritären C-Moll Punktierungen im Stile Beethovens in der Introduktion des Largos der Sonate Nr. 3. Das Verdienst von Pianist und Violonistin liegt darin, die ohnehin schon hohe Verständlichkeit der Chopinschen Musik durch den behutsamen Einsatz von Elektronik zusätzlich zu steigern. 

Ólafur Arnalds & Alice Sara Ott The Chopin Project Mercury Classics, 2015  www.mercuryclassics.com