© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

Ein Trabant für Depeche Mode
Wanderausstellung: Das Berliner Künstlerhaus Bethanien präsentiert die Schau „Passion – Fan-Verhalten und Kunst“
Christian Dorn

Für Joseph Beuys war „jeder ein Künstler“. Die Beweiskraft dieses Diktums zeigt sich wohl nirgends deutlicher als in der Fan-Kultur. Prominentestes jüngstes Beispiel hierfür ist die Autorin E.L. James, Verfasserin der SM-Romanze „Fifty Shades of Grey“. James hatte ihren Titel ursprünglich als Produkt der Fan-Community im „Twilight“-Fandom unter dem Titel „Masters of the Universe“ veröffentlicht. Da die Geschichte in der „Twilight-Gemeinde“ sehr beliebt war, änderte die Autorin die Namen ihrer Figuren und suchte nach einem Verlag, bis sie schließlich zu Random House fand. Inzwischen wurde der Titel weltweit über siebzig Millionen Mal verkauft und von Hollywood verfilmt. Diesem profitablen Beispiel aus der digitalen Gegenwart steht die nicht primär auf wirtschaftlichen Gewinn ausgerichtete Fan-Kultur der Rockmusik gegenüber. Wohl nicht zufällig ist diese dem analogen Zeitalter verhaftet. Deutlich wir dies in der mit Leidenschaft zusammengetragenen Schau „Passion – Fan-Verhalten und Kunst“ im Künstlerhaus Bethanien, die zahllose Bilder, Fotografien, Collagen Filme, Objekte Soundpieces, Bücher, Schallplattenhüllen und Zeitzeugnisse aufbietet.

Ausdruck dessen ist nicht zuletzt der von Kurator Christoph Tannert herausgegebene und von Tobias Jacob gestaltete Katalog, der am besten zur Einleitung gelesen werden sollte – und auch, weil dieser streckenweise sehr erheitert. Eine Hommage an den Westen über den Umweg Ungarn steuert hier der Schriftsteller Peter Wawerzinek bei. In seinem wunderbaren Text „Omega“ läßt er den Leser die Sehnsucht der DDR-Jugend nachfühlen: „Budapest war eine schöne Stadt. Es gab dort alles, was es bei uns nicht gab. Und es gab Westschallplatten. (...) Man hielt sie wie Edelsteine und Platinplatten in seinen Händen.“ So verwundert es nicht, daß unter den Arbeiten der über siebzig internationalen Künstler mehrfach Plattencover zu finden sind, so von den – teils äußerst prominenten – Namen Raymond Pettibon, Keiichi Tanaami, George Condo oder den deutschen Vertretern Daniel Richter und Moritz Götze. 

Während Pettibon für die Punkband Black Flag, Tanaami für Jefferson Airplane und The Monkees oder Condo für Kanye West Cover entwarfen, gelten die Arbeiten von Richter den Bands seines linksradikalen Plattenlabels Buback, Götze indes präsentiert eine Serie echter wie fiktiver Plattencover. Unglaublich skurril wirkt indes „der perfekte Dilettant“ Klaus Beyer, ein Art-Brut-Künstler par excellence. Der gelernte Kerzenwachszieher und Beatles-Fan entschied sich Anfang der achtziger Jahre, alle Platten der Beatles einzudeutschen und neu aufzunehmen. Entsprechend gestaltete er auch alle Plattencover der Beatles mit seinem Konterfei. Die slowenische Künstlergruppe Irwin indes ist mit einem – im Auftrag der Band Laibach – erstellten Cover-Motiv für deren Album „Let It Be“ vertreten, das analog zu dem Beatles-Album gestaltet ist, allerdings mit den Köpfen der Band Laibach. Von hintergründiger Komik zeugen derweil die Objekte von Via Lewandowsky oder Sarah Schönfeld.

Zudem erinnert die Schau an die Bedingungen von Fan-Kultur in der DDR-Diktatur. Aufschlußreich sind hier die dokumentierten Maßnahmepläne des MfS gegen die Depeche-Mode-Fans in der „Kampfreserve der Partei“ (FDJ). Das inszenierte Erscheinungsbild der britischen Band, das sich mit den Zeichen und Symbolen auf den Plattencovern von „A Broken Frame“ oder „Construction Time Again“ an die Kunstform des Sozialistischen Realismus der fünfziger und sechziger Jahre anlehnte, wirkte zusammen mit dem idustriellen Sound für viele Lehrlinge im Osten elektrisierend, als wären sie selbst die eigentlichen Adressaten. So sah sich am Ende selbst die FDJ-Leitung von Berlin veranlaßt, die Band als „Geburtstagskonzert“ anläßlich des 42. Jahrestages der FDJ-Gründung am 7. März 1988 für ein Konzert in der Werner-Seelenbinder Halle zu buchen – doch nicht für die Fans. Von diesen tauschte mancher vor der Halle sogar sein Moped oder seinen Trabant gegen eine Konzertkarte ein.

Die Ausstellung „Passion – Fan-Verhalten und Kunst“ ist bis zum 9. August im Berliner Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Straße 10, täglich außer montags von 9 bis 14 Uhr zu sehen (Eintritt frei). Telefon: 030/616903-0

Der Begleitkatalog kostet in der Ausstellung 29 Euro, im Buchhandel 35 Euro.

 www.bethanien.de