© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

„Wir wollen keine Subventionen“
Zeitungen: Der Mindestlohn und andere Vorschriften erschweren Verlagen das ohnehin schwierige Geschäft
Ronald Gläser

Ali M. steht an einer Kreuzung in Berlin-Schöneberg und schaut auf die Hochhaussiedlung vor sich. „Jeden Tag dasselbe“, murmelt er und macht sich an die Arbeit.

Der Pakistani ist Zeitungszusteller einer Tochterfirma der Funke Mediengruppe, zu der die Berliner Morgenpost gehört. Kein Traumjob – und dennoch fürchtet er nun, daß er seinen Zuverdienst verliert und daß sein Arbeitsgeber ihn rauswirft. Rauswerfen muß.

In Deutschland gibt es 160.000 Zeitungszusteller. Auch für sie gilt der Mindestlohn, und das bedroht ihre Existenz, auch wenn es eine Übergangsregelung für die Verlage gibt. Denn: Bislang wurde ein Zeitungszusteller in der Regel pauschal für sein Gebiet honoriert. 

Das ändert sich jetzt. Zwangsweise. Laut Gesetz müssen die Verlage derzeit, ihren Zustellern 6,38 Euro pro Stunde zahlen. Stufenweise soll der Betrag bis 2017 auf 8,50 Euro angehoben werden. Die erste Anhebung des neuen Mindestsatzes von 8,50 Euro wird nicht lange auf sich warten lassen, da in zwei Jahren eine Bundestagswahl ansteht, bei der sich alle Seiten mit „Wahlgeschenken“ (auf Kosten Dritter) überbieten werden. 

Die Verlage beklagen sich auch wegen des organisatorischen Aufwands. Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), hat eine anonyme Umfrage unter den Mitgliedern seines Vereins gemacht: „Die Branche hat angegeben, daß die Umstellung bei 204 Millionen Euro pro Jahr liegt.“ Weitere Kosten – für neue Software, weil aus Stücklohn Stundenlohn wird – lassen diese Summe auf 230 Millionen Euro anwachsen.

Die Regelung trifft die Verlage in einer schwierigen Phase. Sie verlieren durch die digitale Revolution Abonnenten. In diesem Jahr dürfte die Auflage aller Zeitungen zusammen unter die 20-Millionen-Marke fallen. Trotzdem betteln sie nicht um Subventionen, sondern verlangen nur, daß der Staat ihnen keine Knüppel zwischen die Beine wirft. 

Aus ihrer Sicht ist die Sache einfach: Weniger Zeitungen sind auszutragen, aber die Kosten steigen durch das Gesetz für die Arbeitgeber– es liegt auf der Hand, daß sie über Personalabbau nachdenken. Die Handelskette Kaufland hat bereits 2014 55.000 vorwiegend jungen Prospektausträgern auf einen Schlag gekündigt und ihnen damit ihr Extra-Taschengeld entzogen. Nun sind die Zusteller der Zeitungen bedroht. 2.000 Zeitungszustellern wurde bereits gekündigt. Weitere werden folgen. 

Es ist eine besonders rentnerfeindliche Selektion, die nun einsetzen wird: „Bislang hatte der Zusteller immer die Hoheit drüber, wann er anfängt“, gibt Wolff zu bedenken. Hauptsache, die Zeitungen waren „so gegen sechs Uhr“ im Kasten. In Zukunft wird es darauf ankommen, besonders schnell und damit kostenfreundlich zu sein. Entlasse die Rentnerin und heuere flinkere 20jährige an – das wird die Antwort der Branche auf das Gesetz sein.

Die Dokumentationspflicht macht das Ganze zu einem bürokratischen Monstrum der Extraklasse. „Wir haben 160.000 Zusteller jeden Morgen, da können die Verlage nicht jedem hinterherlaufen“, so Wolff. Die Situation sei nicht mit einer Fabrikhalle vergleichbar, wo der Vorgesetzte danebensitze. Die Papiere, die nötig wären, die Arbeitszeiten aller Zusteller in Deutschland täglich zu erfassen, würden jeden Tag einen ganzen Umzugskarton füllen. Wolff: „Da muß sich was tun.“ In der Summe wären es geschätzte 50 Millionen Zettel pro Jahr. „So kann man doch keine Politik machen“, klagt Wolff.

2.000 Arbeitsplätze         sind schon weg

Der Mindestlohn schädigt zudem kleine Kioskbetreiber, die an den Randzeiten ihr Personal abbauen und damit weniger Straßenverkaufsexemeplare absetzen. Auch dies ist eine Belastung.

Daher war es eigentlich logisch, daß in Berlin nun alle drei großen Zeitungen (Tagesspiegel, Berliner Zeitung und Berliner Morgenpost) ihren jahrelangen Zeitungskrieg mit einem Schlag für beendet erklärten und eine Kooperation im Anzeigengeschäft und vor allem bei den Zustellern ankündigten. Was das bedeutet, ist klar: Pro Zustellgebiet wird es bald womöglich nur noch einen Zusteller geben, die beiden anderen werden entlassen. Verteiler wie Ali werden sich vielleicht bald nach einer anderen Tätigkeit umsehen müssen.