© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

Die Reformation muß von außen kommen
Die Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali hält eine Modernisierung des Islam für nicht unmöglich
Fabian Schmidt-Ahmad

Wir leben im Jahr 1436. Es wird noch ein halbes Jahrhundert dauern, bis ein neuer Martin Luther in der islamischen Welt geboren wird. Zahlenspiele mit der moslemischen Zeitrechnung, die auf eine grundlegende Überzeugung hinauslaufen: der Islam habe, anders als das Christentum, seine Reformation noch vor sich. Prominenteste Vertreterin dieser Denkrichtung ist Ayaan Hirsi Ali. „Reformiert euch!“ ist eine energische Aufforderung an die islamische Welt, endlich eine Aufklärung nach dem Vorbild des Abendlandes zuzulassen.

Ist ein solcher Reformationsprozeß überhaupt möglich? Ali, die mit „Die Söhnefabrik“ und „Ich klage an“ fulminante Kritiken an der Unterdrückung der Frau im Islam vorlegte, bekennt, selbst lange gezweifelt zu haben. Erst der sogenannte Arabische Frühling vor fünf Jahren brachte sie zu der Überzeugung, daß ein Wandel möglich sei. Doch anders als viele, die einen quasi vorherbestimmten Entwicklungsweg der Säkularisierung postulieren – oder dessen Ziel bereits als Ergebnis feiern –, macht sich Ali keine Illusionen.

„Der Weg in die Zukunft“, stellt Ali klar, werde „hart und sogar blutig sein“. Denn nichts ist in der islamischen Welt so verhaßt wie Wandel. „Glaubenserneuerungen gehören im Islam zu den schlimmsten Sünden, gleichbedeutend mit Mord und Apostasie.“ Dennoch will Ali mit dem vorliegenden Buch „all jenen helfen, die sich, wie einst auch ich, zwischen den Geboten einer rigiden Religion und den Attraktionen einer modernen Gesellschaft zerrissen fühlen. Das Buch ist ein Ergebnis dieser Entscheidung.“

Die Wucht der abendländischen Reformation, so legt Ali dar, speiste sich vor allem aus drei Quellen. Erstens konnten Luther und andere auf die technische Neuerung der Druckerpresse zurückgreifen, durch die die eigenen theologischen Ideen verbreitet werden konnten. Zweitens war mit dem Bürgertum in den Städten eine Gesellschaftsschicht entstanden, die sich auch empfänglich für diese neuen Ideen zeigte. Drittens sahen die einzelnen Landesherren die Möglichkeit, sich von der religiös überhöhten Zentralgewalt zu emanzipieren.

„Kurz gesagt, sorgte die Befreiung des individuellen Bewußtseins von hierarchischer und religiöser Autorität dafür, daß sich in jedem menschlichen Betätigungsbereich ein kritisches Denken entwickeln konnte.“ Eben jene Bedingungen sieht Ali auch in Teilen der islamischen Welt erfüllt. Sie verweist auf Umfragen, die im Libanon, in Tunesien, Ägypten und Nigeria deutliche Mehrheiten aufzeigen, die sich über den islamischen Extremismus besorgt zeigten. Eine Reformation, so konstatiert Ali, stünde nicht nur unmittelbar bevor. „Sie ist bereits im Gange.“ 

Allerdings betont Ali, „daß eine muslimische Reformation deutlich andere Züge tragen wird als die christliche“. Die Unterschiede seien einfach zu groß. In der Tat warfen Luther und andere Reformer der Kirche eben vor, sich vom Fundament der eigenen Lehre fortbewegt zu haben. Sie waren also Fundamentalisten, welche die gewachsene Autorität nicht länger anerkennen wollten. Insofern sind die Vordenker und Kämpfer des „Islamischen Staates“ die eigentlichen muslimischen Reformer, deren „Sola scriptura“ eine Rückkehr zur Barbarei bedeuten muß.

Dem Islam fehlt Tradition einer Debattenkultur

Umgekehrt müssen sich diejenigen Moslems, die Ali als Reformatoren anspricht, von den Grundlagen ihres Glaubens emanzipieren. So lebe „ein Großteil der muslimischen Welt, ob nun in den mehrheitlich muslimischen Nationen oder im Westen, nur zur Hälfte in der Moderne“, schreibt sie. Um ganz in dieser Welt anzukommen, stellt Ali fünf zentrale Forderungen auf, die sie in Analogie zu den fünf Säulen des Islams formuliert und die sie als Grundbedingungen für eine Reform des Islam betrachtet:

Erstens die Garantie zur freien Interpretation und Kritik sowohl des Korans als auch der Person Mohammeds; zweitens Vorrang des diesseitigen Lebens gegenüber dem jenseitigen; drittens Beschränkung der Scharia und ihre Unterordnung unter weltliches Recht; viertens Verzicht auf den Grundsatz, das Gute zu gebieten und das Schlechte zu verbieten, welcher bisher die islamischen Gesellschaften normiert; und als letzten Grundsatz: „Gebt den Aufruf zum Dschihad auf.“

Mit diesen fünf Säulen der Islamreformation im Hintergrund betrachtet Ali verschiedene Strömungen im Islam und prüft diese auf ihre Reformierbarkeit. Gewissermaßen als Nebenprodukt herausgekommen ist eine lesenswerte Geschichte des Islams, wie dieser sich aus der tribalen Struktur herausentwickelt hat. Insbesondere hier gelingt der gebürtigen Somalierin ein überzeugendes Porträt einer monotheistischen Religion, die sich mit der Dynamik einer Stammesgesellschaft verbindet.

Ähnlich wie Efraim Karsh mit seiner Imperialismus-These sieht Ali hier den Ursprung für den von Anfang an expansiven Charakter des Islam. Noch vor der theologischen Kanonisierung war bereits ein weltliches Reich entstanden. „Aus diesem Grund waren im Islam Macht und Glauben von Anfang an miteinander verbunden, ja sogar überhaupt nicht voneinander zu trennen.“ Nicht eine Religion, die als Theokratie Machtpolitik betreibt, sondern reine Machtpolitik, die sich selbst theologisch überhöht.

Das Ergebnis ist ein Stillstand, der nicht nur das weltliche, sondern auch das geistliche Leben umfaßt. Eigentliche theologische Auseinandersetzungen fanden im Islam nie statt, stellt Ali fest. Selbst die Trennung von Sunniten und Schiiten habe weniger theologische Gründe gehabt, „sondern war im wesentlichen ein reiner Nachfolgestreit“. Dadurch fehlt dem Islam aber jegliche Tradition einer Debattenkultur, die für die Entwicklung des Abendlandes essentiell ist. Ist vor diesem Hintergrund eine Reformation möglich?

Gewiß nicht aus der islamischen Welt selbst, stellt Ali klar. Was von dieser Seite komme, seien nur weitere, aus Saudi- Arabien oder anderen Quellen finanzierte Moscheen in europäischen Städten. Ali verlangt stattdessen eine Antwort des Abendlandes. Die Reformation müsse in die islamische Welt hineingetragen werden. Hier sieht sie Parallelen der westlichen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus. Es brauche „eine konzertierte Anstrengung, die sich an den kulturellen Kampagnen des Kalten Krieges orientiert, um Menschen vom islamischen Fundamentalismus abzubringen“.

Ayaan Hirsi Ali: Reformiert euch! Warum der Islam sich ändern muß Knaus Verlag, München 2015, gebunden, 304 Seiten, 19,99 Euro